Ein drückend heißer Sommer, ein kirgisisches Dorf, Menschen bei der Feldarbeit und außenrum: Krieg. Tschingis Aitmatow entwirft in seiner 1958 erschienen Novelle „Dshamilja” ein vielschichtiges Bild. Es ist eine Liebesgeschichte. Und noch viel mehr.
Erzählt wird die Geschichte aus Sicht des 15-jährigen Said, selbst noch zu jung, um eingezogen zu werden. Mit Dshamilja, der Frau seines an der Front kämpfenden Bruders, transportiert er täglich das im Krieg benötigte Getreide zum Bahnhof – unterstützt von dem Kriegsinvaliden Danijar. Zunächst sind Dshamilja und Said nicht begeistert davon, doch nach und nach blicken sie hinter die Fassade des als Eigenbrötler geltenden Danijar. Und dann kommt diese Augustnacht, in der Danijars Lied erklingt, das so voll ist von Sehnsucht, Schmerz und Liebe zur Welt. Dshamilja und Danijar verlieben sich rettungslos ineinander. Said beobachtet. Und schweigt. Als schließlich Dshamilijas Ehemann zurückkehrt, fliehend die Liebenden aus dem Dorf.
Es ist bei Aitmatow ein bisschen so wie bei Fontane: Man kann ihn historisch lesen und eben nicht historisch. Entscheidet man sich für Zweiteres, taucht man ein in eine Liebesgeschichte. Schön, tief und – ach! – so bezaubernd. Wählt man die historische Lesart, entfaltet sich ein komplexes Bild. Der Zweite Weltkrieg tobt, die Familien im Dorf warten monatelang auf erlösende Nachrichten, halten das Leben irgendwie am Laufen. Die Welt ist im Umbruch: die Alten erzählen noch vom Nomadenleben, im Alltag dominieren Pferdekutschen und doch kündigen sich bereits Vorläufer der Technisierung an. Lässt man sich schließlich auf Saids Perspektive ein und folgt seiner Biografie, findet man sich beinahe in einem Coming of Age wieder. Denn auch der 15-Jährige entwickelt sich weiter, folgt seiner künstlerischen Natur und wird schließlich Maler.
Ob „Dshamilija” wirklich „die schönste Liebesgeschichte der Welt” ist, als die der französische Autor Louis Aragon sie bezeichnete, muss jeder für sich selbst entscheiden. Fest steht, dass es keine tausend Seiten braucht, um so viel beim Lesen zu erwecken: die Sehnsucht nach Frieden, den Wunsch, sich zu verlieben, oder einfach den Duft des Sommers. Und sie zeigt, dass sich Dinge wiederholen: Krieg (leider), Liebe (zum Glück). Aitmatow schafft all das auf 100 Seiten.
Bücher zeigen uns, dass sich Dinge wiederholen. Im Kleinen und im Großen.
Wir stellen vier Bücher vor, die wir im Bücherschrank in der Au gefunden haben. Das sind die anderen drei aus unserem Quartett:
Der Bücherschrank in der Au ist eigentlich ein Holzhäuschen, das irgendwie an eine Berghütte erinnert. Er befindet sich am Herrgottseck 2 unweit des Mariahilfplatzes.