Die lange Nase ist sein „Alleinstellungsmerkmal“: Pinocchio. Immer wenn er lügt, wächst und wächst sie.
Als Carlo Collodi 1881 seine ersten Pinocchio-Geschichten und 1883 schließlich das ganze Buch veröffentlichte, war die Holzpuppe allerdings eher ein leichtsinniger Tunichtgut als ein hinterhältiger Lügenbold: Gerade mal an zwei Stellen kommt im Buch seine schwindellange Nase vor. Erst mit der Zeit und der wachsenden Zahl an Adaptionen (und später Verfilmungen wie der von Disney 1940) rückte die länger werdende Lügennase immer mehr in den Mittelpunkt und löste als Symbol die sprichwörtlichen „kurzen Beine“ ab.
Pinocchio erzählt die Geschichte einer Anpassung: Ein Kind lernt, sich an die Regeln der Erwachsenen zu halten: Fleiß, Gehorsam und gutes Betragen sind zu Collodis Zeiten und in einer bürgerlichen Welt das Nonplusultra „rechten Handelns“.
Der Weg dahin ist indes nie einfach für einen, der anders ist (nämlich aus Holz) und endlich „dazugehören“ will (zu den richtigen Kindern). Nicht erst seit es „soziale“ Medien gibt, ist die Welt da draußen voller Tücken und Gefahren. Auf Pinocchio lauern falsche Freunde, er fällt immer wieder auf „Influencer“ wie Fuchs und Kater herein, bringt sich mit seinen Ausflüchten stets aufs Neue in höchste Not und Gefahr und muss am eigenen (Esels-)Leib erfahren, dass es ein von allen Pflichten freies „Wunderland“ für niemanden gibt.
Pinocchio lernt bis zum Ende der Geschichte, Verantwortung zu übernehmen – und kann fortan ein „echter“ Junge sein. „Weil du so ein gutes Herz hast, verzeihe ich dir all den Unfug, den du gemacht hast“, erklärt ihm eine Fee den Grund für die so lang ersehnte Verwandlung.
Das gute Herz ist der „game changer“. Werte und Ansprüche verändern sich von Generation zu Generation. Manches verliert an Bedeutung, anderes gewinnt an Gewicht. Doch für Menschen guten Willens (die Engel über dem Feld der Hirten zu Bethlehem bevorzugten eine leicht von Collodi abweichende Wortwahl) ist in jeder Werte-Welt „Friede“ greifbar. Und der ist das einzige vielleicht doch erreichbare „Wunderland“.
Hat Pinocchio also ein Happy End? Nicht ganz. Collodis Roman löst zwar die moralischen Verstrickungen auf, aber das hat mitnichten Auswirkungen auf die unfairen gesellschaftlichen Verhältnisse: Armut ist keine Rechtfertigung fürs Stehlen, hat Pinocchio gelernt. Dass Tugend und Fleiß keine Garantie für Wohlstand und Reichtum sind, allerdings auch.
Bücher halten fest, auf welche Werte früher Wert gelegt wurde (und heute?).
Wir stellen vier Bücher vor, die wir im Bücherschrank Aubing gefunden haben. Das sind die anderen drei aus unserem Quartett:
Den Bücherschrank Aubing findet man am Giglweg zwischen dem Brunnen und St. Quirin.