Es ist ein dramatischer Fehler, davon auszugehen, dass nur böse Menschen zu etwas Bösem fähig sind. Das sagte Simon Wiesenthal. Viele führende Nationalsozialisten seien zuhause reizende Menschen gewesen: „Es waren dieselben Menschen, die morgens liebevoll ihre Kinder geküsst und ein paar Stunden später Juden vergast oder totgeschlagen haben.” Ganz „normale” Leute, oft Nachbarn, werden zu sadistischen, erbarmungslosen Schlächtern. Menschen, die von Mitschülern als „Lämmchen” beschrieben werden, lassen in Konzentrationslagern grausamste Menschenversuche durchführen: Himmler. Oder schildern in ihren Tagebüchern, wie sie 1,2 Millionen Männer, Frauen und Kinder verhungern lassen und dass „meinetwegen aus den Polen und den Ukrainern Hackfleisch gemacht werden kann”: Hans Frank, Jurist und einer der Hauptkriegsverbrecher.
Wie gehen die Kinder solch monströser Verbrecher mit den Taten ihrer Väter um? Mit ihrer Mitleidlosigkeit, mit ihrer Unterwürfigkeit, mit ihrem Hass? Wie stellen sie sich zu dem Bösen, mit dem sie selbst so unmittelbar aufwuchsen? Norbert und Stephan Lebert haben Kinder von Massenmördern wie Himmler, Frank, Bormann, Göring, Heß, von Schirach und andere im Abstand von 40 Jahren besucht und die Gespräche im Jahr 2000 in dem Band „Denn du trägst meinen Namen” dokumentiert.
Jeder versucht, auf seine Weise mit dem erdrückenden Erbe umzugehen. Mancher arbeitet die Familiengeschichte auf, bringt sie ans Licht (und wird dafür von Teilen der Öffentlichkeit verachtet). Andere fragen sich, wie sie sich selbst in einer Diktatur verhalten hätten (und finden keine Antwort). Und wieder andere wie Himmlers Tochter finden zeitlebens kein Wort für die Opfer, sondern streiten die Grausamkeiten ihre Väter ab (und unterstützen bis ins hohe Alter andere NS-Verbrecher).
„Das Böse schlummert in den meisten Menschen und kann beinahe jederzeit herausbrechen”, verstand Simon Wiesenthal - in Bosnien, in Syrien, beim Supernova-Festival, in der Ukraine, in jedem Krieg wird diese Erkenntnis bestätigt. Wiesenthal zieht aus dem Horror den Schluss: „Du musst das Böse dauernd bekämpfen, damit es nicht hervorkommt!”
Bücher führen uns vor Augen, wie nah das Böse sein kann.
Wir stellen vier Bücher vor, die wir im Bücherschrank Giesing gefunden haben. Das sind die anderen drei aus unserem Quartett:
Der Bücherschrank Giesing steht auf dem Kolumbusplatz direkt vor dem Alten- und Service-Zentrum (ASZ) Untergiesing.