Plötzlich ist alles anders: Auf einem Ausflug in den Bergen stößt eine Frau auf eine unsichtbare Wand, hinter der sie fortan weggeschlossen bleibt. Allein. Ohne Kontakt zur Außenwelt. Ohne je zu wissen, was passiert ist.
Heute ist Marlen Haushofers Roman „Die Wand” ein vielfach neu aufgelegtes Werk; es wurde in über ein Dutzend Sprachen übersetzt und 2012 sogar verfilmt. Als es 1963 erschien, wurde das Buch indes kaum beachtet – ebenso wie Haushofers zahlreiche Erzählungen, Romane und Kinderbücher, welche sie allesamt am Küchentisch schrieb.
Vom Erfolg der „Wand“ erfährt sie nie: Kurz bevor Haushofer 1970 an Krebs stirbt, schließt sie ihr Tagebuch ab: „Mach Dir keine Sorgen“, tröstet sie sich darin zum Schluss, „alles wird vergeblich gewesen sein – wie bei allen Menschen vor Dir. Eine völlig normale Geschichte.“ Es braucht mehr als ein Jahrzehnt, bis die Bedeutung ihres Werkes, das sich immer wieder mit der Rolle der Frau in der Männergesellschaft auseinandersetzt, endlich wahrgenommen wird.
Die meisten Frauenfiguren Haushofers sind wie in der „Wand“ isoliert in privaten Räumen und abgeschnitten vom öffentlichen Leben. Diese Isolation fühlt sie zeitlebens selbst: „Ich steh auf einem Platz, auf den ich nicht gehöre, lebe unter Menschen, die nichts von mir wissen“, schreibt sie 1952. „Alle meine Personen sind Teile von mir; alles, was ein Schriftsteller schreibt, ist autobiografisch.“
Nüchtern und illusionslos beschreibt Haushofer die starren Rollenmuster der 50er- und 60er-Jahre, die die Hälfte der Gesellschaft ausbremst. Ist es heute besser? Haben die beiden letzten Generationen ihre Lebenswege genutzt, damit sich die Situation dreht? Damit „alles wird vergeblich sein” nicht länger „völlig normal” ist?
Nach wie vor gibt es „gläserne Decken“, die Frauen effizient daran hindern, im Beruf voranzukommen, ihre Fähigkeiten einzubringen, in der Politik mitzumischen, Unternehmen zu führen, sich vor Gewalt zu schützen, im Alter dank fair bezahlter Arbeit versorgt zu sein: Strukturen, die wie die „Wand“ nicht durchbrochen werden, weil zu viele so tun, als seien sie nicht sichtbar.
Bücher zwingen uns, Farbe zu bekennen.
Wir stellen vier Bücher vor, die wir im Bücherschrank im Waldfriedhofviertel gefunden haben. Das sind die anderen drei aus unserem Quartett:
Der Bücherschrank im Waldfriedhofviertel gibt es erst seit September. Er ist blau, steht direkt vor der Gethsemanekirche in der Wessobrunner Straße und wird von der Gemeinde betreut.