Nein zum Bürgerentscheid

Ebersberg · Den Wald als Klima- und Artenschützer erhalten

Die Schutzgemeinschaft Ebersberger Forst wirbt für ein Nein beim kommenden Bürgerentscheid am 16. Mai. Foto: Schutzgemeinschaft Ebersberger Forst

Die Schutzgemeinschaft Ebersberger Forst wirbt für ein Nein beim kommenden Bürgerentscheid am 16. Mai. Foto: Schutzgemeinschaft Ebersberger Forst

Ebersberg · Am Sonntag, 16. Mai, findet im Landkreis Ebersberg ein Bürgerentscheid zum Thema "Windkraft im Ebersberger Forst" statt. Der Kreistag des Landkreises Ebersberg hat am 27. Januar 2020 beschlossen, die Bürgerinnen und Bürger zu diesem zentralen Klimaschutzprojekt zu befragen.

Münchner Wochenanzeiger-Themenseite zur Nachhaltigkeit
Windkraftanlagen im Ebersberger Forst
Themenseiten: Windkraft-Energie im Ebersberger Forst

Nachhaltige Energie
Thema: Dämmung, Kohleausstieg, Windkraft und Energiesparen

Themenseite zur Nachhaltigkeit
Wir von den Münchner Wochenanzeigern berichten während des gesamten Jahres über alle Aktivitäten in Stadt und Land zum Thema Nachhaltigkeit.

Die Fragestellung des Bürgerentscheides lautet: "Sind Sie dafür, dass der Landkreis Ebersberg zur Erreichung der Ziele des Klimaschutzes und zur Förderung der Landschaftspflege die ihm zur Verfügung stehenden grundstücksrechtlichen Möglichkeiten ausschöpft, um darauf hinzuwirken, dass im Ebersberger Forst maximal fünf Windräder errichtet werden?"

Der Bürgerentscheid wird als reine Briefabstimmung durchgeführt. Das heißt, dass man seine Stimme ausschließlich per Brief abgeben kann und eine Urnenabstimmung nicht möglich ist. Man bekommt die entsprechenden Unterlagen automatisch zugeschickt. Eine Antragsstellung auf Briefwahlunterlagen ist daher nicht notwendig. Die Abstimmungsunterlagen sind am Abstimmungstag, 16. Mai, bis spätestens 18 Uhr bei der Stadtverwaltung einzureichen. Das Bündnis "Schutzgemeinschaft Ebersberger Forst" ruft dazu auf, beim Bürgerentscheid mit "NEIN" zu stimmen. Wir haben Kerstin Mertens, die Vorsitzende der Schutzgemeinschaft Ebersberger Forst, nach den Beweggründen für diese Entscheidung befragt.

Redaktion: Welches sind die drei wichtigsten Gründe, die Ihrer Meinung nach gegen den Bau von Windkraftanlagen im Ebersberger Forst sprechen?

Kerstin Mertens: Der Bau der fünf Windräder im Forst verletzt die einmalige Größe und Geschlossenheit des größten zusammenhängenden Waldgebietes im süddeutschen Flachland mit all seinen Funktionen (Ökosystem, Artenschutz, Trinkwasserschutz, CO2-Senke, Feinstaubfilter, Sauerstoffspender, Klimaanlage, Naherholung etc.). Dies steht im absoluten Widerspruch zum Hauptschutzzweck der gültigen Landschaftsschutzgebietsverordnung. § 2 (a) besagt: Zweck des Landschaftsschutzgebietes "Ebersberger Forst" ist es, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts durch die Erhaltung dieses geschlossenen Waldgebietes zu sichern."

Die geplanten Windkraftanlagen im Ebersberger Forst laufen den Schutzzwecken zuwider. Um sie bauen zu können, muss die LSG-VO aufgehoben und verändert werden. Damit stehen Tür und Tor offen für weitere Baumaßnahmen, weitere Windräder, Umfahrungen etc. und am Ende bleibt vom Ebersberger Forst nur ein Flickenteppich übrig. Wir würden damit ein wertvolles Naherholungsgebiet im Ballungsraum München und wichtigen Lebensraum für die heimischen Pflanzen- und Tierwelt verlieren. Der vorgesehene Vertrag zwischen Bayerischen Staatsforsten (BaySF) und Landkreis ist keine Garantie für maximal fünf Windräder im Forst.

Der Vorsitzende Richter des VG Regensburg a. D. P. Fischer-Hüftle und Herausgeber des Kommentars zum Bayerischen Naturschutzgesetz erklärt, dass allein eine Regierungserklärung oder Koalitionsvereinbarung ausreicht, damit die BaySF den Vertrag "aus wichtigem Grund" kündigen können.

Einen gesunden Wald zu zerstören, um ihn zu schützen, macht keinen Sinn. Klimaschutz ist an keinen Ort gebunden und auf viele verschiedene Weisen möglich. Im Klartext: Windräder müssen nicht in Schutzgebieten stehen! Biodiversität hingegen ist ortsgebunden und eben nur durch absoluten Schutz von Flora und Fauna an diesem Ort zu bewerkstelligen. Deswegen gibt es genau dort Schutzgebiete. Und um wirken zu können, müssen diese dauerhaft bestehen und dürfen nicht eingeschränkt werden. Der Ebersberger Forst wird seit über 30 Jahren zu einem artenreichen Mischwald umgebaut. Im Vergleich zu vielen anderen bayerischen Wäldern sorgen hier regelmäßige und hohe Niederschlagsmengen dafür, dass der Forst gesund und widerstandsfähig gegenüber höheren Temperaturen und Schädlingsbefall ist. Das Aufreißen der intakten Kronendächer für Baumaßnahmen gefährdet ihn, macht ihn durch Menschenhand krank.

Redaktion: Worin liegt die Besonderheit des Ebersberger Forstes und warum denken Sie, dass diese Besonderheit durch den Bau von Windkraftanlagen ge- und sogar zerstört wird?

Kerstin Mertens: Der Ebersberger Forst ist das größte zusammenhängende Waldgebiet im süddeutschen Flachland und im Münchner Umland der wichtigste Klima-, Umwelt- und Artenschützer. Er ist Bannwald, Landschaftsschutzgebiet und im Süden und Osten FFH-Gebiet (Fauna-Flora-Habitat). Seine Größe und Geschlossenheit machen ihn besonders wertvoll als Lebensraum für Pflanzen und Tiere unserer Heimat und als Naherholungsgebiet für uns Menschen. Die bestehende Landschaftsschutzgebietsverordnung ist der stärkste Schutz, den der Ebersberger Forst vor Baumaßnahmen und Zerstörung hat. Sie muss erhalten bleiben. Die Frage ist also nicht, ob fünf Windräder den Ebersberger Forst zerstören, sondern was nach der Änderung der Landschaftsschutzgebietsverordnung noch im Forst gebaut werden darf. Wir befürchten einen Dominoeffekt. Man muss sich nur in anderen Regionen umsehen, wie schnell große Waldgebiete zerstückelt wurden und damit ökologisch wertlos sind. Dieses große, zusammenhängende und intakte Waldgebiet wurde an uns von Generationen vor uns unter großen Mühen zu treuen Händen übergeben, mit dem Auftrag es genauso, also in dieser ungeschmälerte Form, weiterzugeben an die Generationen nach uns.

Redaktion: Welche negativen Auswirken befürchten Sie werden die Windräder für die Fauna und Flora des Waldes haben?

Kerstin Mertens: Rodungen für den Bau der WKA hinterlassen dauerhaft Schäden im Forst. Die Fachleute der unteren Naturschutzbehörde erklärten in ihrer Stellungnahme: "Rodungen für Bau und Betrieb der WKA führen zu Beeinträchtigungen des Naturhaushalts. Lebens- Fortpflanzungs- und Ruhestätten werden gestört, es kommt zu Verdrängung von Arten, Kollisionen und Störwirkungen." Das 100.000 Euro teure, vom Kreistag beauftragte natur- und artenschutzrechtliche Gutachten hat eine erstaunlich hohe Artenvielfalt an Großvögeln und Fledermäusen im Ebersberger Forst bestätigt und kommt zum Fazit: "Nach unserer gutachterlichen Einschätzung ist eine Zonierung (?) des Untersuchungsgebietes von 2019 innerhalb des LSG Ebersberger Forstes für die Zwecke der Windenergienutzung auf Basis der vorliegenden Daten zu Vorkommen von Fledermäusen und Vögeln nicht sinnvoll möglich." Die große zusammenhängende Waldfläche ist ein wertvoller Lebensraum und bietet vielen Tieren ideale Bedingungen, vor allem Arten mit hohem Raumbedarf. Seit über 30 Jahren erfolgt ein konsequenter Waldumbau mit klimaresistenten Baumarten, was einen weiteren Anstieg der Artenvielfalt und Klimastabilität des Forstes erwarten lässt. Weil in einem Ökosystem alle Arten von Lebewesen voneinander abhängig sind, betrifft der Verlust einer Art den gesamten Forst. Windräder sind eine Todesfalle für Großvögel wie Eulen, Wespenbussard, Habicht, Milan, Falken, Störche etc. und Fledermäuse, die im Forst leben und ihren Nachwuchs großziehen. Großvögel werden von den Rotoren erschlagen, Fledermäuse sterben am Barotrauma (Luftdruckschwankungen basierend auf Rotorbewegungen bringen kleinste Lungen-Blutgefäße zum Platzen). Manche Arten werden durch die mit Windkraftanlagen verbundenen Auswirkungen gänzlich verschwinden. Fledermäuse bekommen meist nur ein Junges pro Jahr und auch Großvögel haben nur wenige Nachkommen. Populationen mit einer niedrigen Fortpflanzungsrate können Verluste durch Windräder nicht ausgleichen.

Der Verlust von Lebensraum ist die größte Ursache für das große Artensterben. Wir können es uns nicht erlauben, unsere Wälder zu zerstören, es Klimaschutz zu nennen und Artensterben voranzutreiben. Im Übrigen kostet das Wiederansiedeln fast ausgestorbener Tiere ein Mehrfaches als ihr Erhalt.

Redaktion: Befürchten Sie auch negative Auswirkungen auf Anwohner?

Kerstin Mertens: Der geplante Windpark liegt im empfindlichen Bereich des Grundwassereinzugsgebietes und in unmittelbarer Nähe zum Wasserschutzgebiet der Trinkwasserbrunnen. Der Ebersberger Forst ist Trinkwasserlieferant u.a. für Ebersberg, Grafing, Anzing u. Markt Schwaben. Da die schutzwirksame Grundwasserüberdeckung mit weniger als zwei Meter durch Fundamente und Pfahlgründungen (13 Meter und tiefer) durchbrochen wird, können gefährliche Stoffe wie z.B. Maschinenöle in das Grundwasser gelangen. Nach den vorliegenden hydrologischen Gutachten sind negative Auswirkungen auf unsere überlebenswichtigen Trinkwasserreserven ernsthaft zu befürchten.

Erholungssuchende werden im Ebersberger Forst Probleme haben, diese Erholung hier noch zu finden. Der Naturgenuss kann im weiten Umkreis der Windkraftanlagen nicht mehr stattfinden. Das ständige Drehen der Rotoren verursacht störenden Schall und Infraschall. Orte der Stille wird es im größeren Radius nicht mehr geben. Die Corona-Zeit hat deutlich gemacht, dass der Ebersberger Forst als Erholungsgebiet direkt vor der Haustür vielen Menschen eine wertvolle Zuflucht bietet. Ein Wert, der sich mit Geld nicht ermessen lässt. Wir leben in einem Ballungsraum, viele spüren gerade jetzt eine hohe Arbeitsbelastung und starken psychischen Druck. Deshalb brauchen wir Ausgleich und vorsorgende Maßnahmen zur Gesunderhaltung von Körper, Geist und Seele. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Aufenthalte im Wald das Immunsystem stärken und zu körperlichem und psychischem Wohlbefinden führen.

Die Schall- und Infraschallemissionen von Windrädern verursachen nachweislich Schlafstörungen und bei Langzeitexpositionen weitere schwerwiegende Beeinträchtigungen der Gesundheit. Zum Rechenfehler beim Infraschall durch das Bundesamts für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) sagt Christian-Friedrich Vahl, Leiter der "Arbeitsgruppe Infraschall" an der Universitätsmedizin Mainz: "Offenbar ist die Windkraft schon bei niedrigeren Schalldrucken gefährlicher als bisher angenommen."

Redaktion: Warum ist Ihnen der Erhalt des Waldes in seiner jetzigen Form so wichtig?

Kerstin Mertens: Die Schutzgemeinschaft Ebersberger Forst e.V. wurde 1965 gegründet, um gegen den Bau eines Protonenbeschleunigers im Ebersberger Forst vorzugehen. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, jegliche Bebauung im Ebersberger Forst zu verhindern. Das ist in unserer Satzung verankert und haben wir bisher erfolgreich geschafft. Der Forst besteht seit über 200 Jahren in seiner jetzigen Form und Größe. Ihn allein daran zu bewerten, wieviel Kohlendioxid er bindet und mit der Einsparung von CO2 durch Windräder zu vergleichen ist zu einfach. Unser Forst ist viel mehr. Er ist einzigartig als größtes zusammenhängendes Waldgebiet im süddeutschen Raum und wichtiger Lebensraum für die heimische Pflanzen- und Tierwelt, ist Naherholungsgebiet für uns Menschen, Trinkwasserreservoir, Sauerstoffspender, Feinstaubfilter, CO2-Senke, Klimaschützer und Artenschützer in einem. Das alles zusammen macht ihn um ein vielfaches wertvoller. Der Erhalt und der rigorose Schutz bestehender Wälder sowie auch Neupflanzungen von Bäumen gilt weltweit als eine der besten Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung! Der Landkreis Ebersberg hat unter den bayerischen Landkreisen mit die wenigsten Schutzgebietsflächen. Dafür haben wir aber haufenweise Gewerbegebiete! Wenn wir jetzt auch noch diese letzten Schutzgebiete für industrielle Windkraftanlagen opfern, dann bleibt praktisch nichts mehr zum Erholen, Genießen und für das Leben an sich übrig - nicht für uns Menschen und nicht für Flora und Fauna.

Der Ebersberger Forst ist das seit Jahrhunderten das von vielen Generationen geschützte Erbe und grüne Herz unseres Landkreises. Auch kleine Stiche ins Herz lassen den Patienten sterben. Das gilt es zu verhindern, damit auch nachfolgende Generationen den Ebersberger Forst in seiner Vielfalt mit allen Sinnen erleben können.

Redaktion: Vielen Dank für die ausführliche Beantwortung unserer Fragen.

Artikel vom 05.05.2021
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...