Guido Müller ist der erfolgreichste Seniorensportler der Welt

Haar/Trudering · Lebende Legende

Bei der EM in Gent lief Guido Müller im März als Schlussmann der 4 x 200 Meter Staffel ein weiteres Mal Europarekord.	Foto: Harald Köhler

Bei der EM in Gent lief Guido Müller im März als Schlussmann der 4 x 200 Meter Staffel ein weiteres Mal Europarekord. Foto: Harald Köhler

Haar/Trudering · Müller ist ein Phänomen. Nein, nicht der Gerd, der einstige »Bomber der Nation«, auch nicht Bayern-Star Thomas. Gemeint ist Guido. Guido Müller, Leichtathlet, der erfolgreichste Seniorensportler der Welt.

Der 73-Jährige, 2004 und 2009 als weltbester männlicher Senioren-Leichtathlet ausgezeichnet war 29 mal Weltmeister. Er hält 15 Weltrekorde, »aktuell«, wie er ausdrücklich betont. Er wohnt an der Stadtgrenze in Trudering, trainiert meistens unter freiem Himmel beim TSV Haar, startet seit 1982 für den TSV Vaterstetten und übt winters in der von-Linde-Halle im Olympiazentrum.

Münchner Wochenanzeiger-Artikel zum Sportler Guido Müller

Im Juli, bei den Deutschen Meisterschaften in Minden, knackte Müller mit vier ersten Plätzen eine Schallmauer: »100 Deutsche Meisterschaften, das hat noch keiner geschafft«, erzählt er und strahlt dabei übers ganze Gesicht. Die dreistellige Zahl schaffte er über 100 Meter, »meine schwächere Disziplin«, in 13,5 Sekunden. Seine Bestzeit einst als Aktiver über diese Distanz liegt bei 10,9 Sekunden, »damals noch handgestoppt«. Die anderen Goldmedaillen in Minden gewann er über 200 und 400 Meter sowie über 300 Meter Hürden. Guido Müller startet jetzt in der Altersklasse M 70, alle fünf Jahre rutscht man in eine neue Kategorie. Da die Alterseinteilung national wie international eine andere ist, kommt es zu einem Kuriosum: Einige seiner deutschen Bestleistungen sind besser als die Weltrekorde, die er hält. International tritt er über 100, 200 und 400 Meter sowie über 80 Meter Hürden an und nimmt auch an den Staffelläufen teil.

Und Weitsprung? »Weitsprung mache ich jetzt nicht mehr«. Der Mann weiß seine Kräfte einzuteilen. Nicht zuletzt deshalb verzichtete er wie viele seiner Sportsfreunde Mitte Juli auf die laut Müller »schwach besuchte WM« in den USA. »Im Nachhinein gesehen eine sehr weise Entscheidung«, konstatiert er. Es herrschten nämlich Temperaturen von 40 und mehr Grad, Einheimische flüchteten zu dieser Zeit ans Meer. »Dazu kommt, dass meine Frau Helga die Hitze nicht so gut verträgt, und neun Stunden Zeitunterschied sind bei Leistungssport auch nicht ohne. Überdies sind drei Wettkämpfe in einem Monat viel zu viel.« Stattdessen machten die Müllers Urlaub im wohltemperierten Norwegen.

Guido Müller ist bei Stuttgart, in Kornwestheim, aufgewachsen. Und wer in Kornwestheim lebt, der arbeitet bei der Schuhfabrik Salamander. So auch Müller. Für sein Unternehmen war er hierzulande, in New York und in Italien in der Produktion tätig. 1968 heirateten Helga, eine Münchnerin, und Guido. Nach dem Italien-Auftrag »wollte meine Frau wieder zurück nach Bayern«. Gesagt, getan: Müller machte sich in Sachen Schuhe selbstständig. Das Paar wohnte zunächst in Schwabing und seit 1975 in einem schmucken Haus in Trudering. Der Leistungssport musste folglich hintan stehen. »1982, als 44-jähriger, habe ich in Vaterstetten die Meisterschaften im Hochsprung besucht und wieder Lust auf die Leichtathletik bekommen. Nach einigen Kontaktgesprächen ging’s dann los«, erzählt Müller. Es war quasi der Startschuss für die zweite Karriere.

Dazu muss man wissen, dass er als Aktiver zwar ein ausgezeichneter Läufer war, aber den Sprung in die Weltklasse nicht geschafft hatte. 1960 hatte er die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rom ebenso verpasst wie 1964 für Tokio die Teilnahme am 400-Meter-Hürdenlauf. »Ich bin kein begnadetes Talent, ich muss intensiv trainieren«, so der Sportler über sich selbst. »Intensiv« bedeutet heute im Sommer vier- bis fünfmal in der Woche. »Das wird meiner Frau manchmal zu viel, sie will lieber in die Berge, sie hat aber viel Verständnis für mich und den Sport, sie reist gern mit, wir bezahlen alles selbst. Die Ruhezeiten müssen aber unbedingt beachtet werden, sie sind für uns beide wichtig.«

Warum lockt und motiviert die Leichtathletik trotz komplizierter und langwieriger Verletzungen – »mit zunehmendem Alter wird man anfälliger« – wie beispielsweise am Sprunggelenk? »Es ist die Lust am Laufen, die Freude und der Spaß zusammen mit anderen Gleichgesinnten, die Kameradschaft, das Ziel noch lange dabei zu sein, fit und gesund zu bleiben, sich mit Leistung zu beweisen, bewusst zu leben, voranzugehen und jungen Leuten ein Beispiel zu geben. All das ist ein Stück Lebensqualität für mich«, führt der Schwabe an. Und: »Ich bin der erste und einzige 70-jährige, der es geschafft hat, die 400 Meter unter einer Minute zu laufen.«

Müller erzählt dies im ersten Stock in seinem Arbeitsraum, seinem »Medaillenzimmer«. Wie viel Auszeichnungen es denn sind? Seine Augen wandern an der Wand entlang, wo eine neben der anderen Medaille aufgehängt ist, der Platz ist fast voll besetzt. »So an die 200 bis 250 Goldene, genau weiß ich es nicht, einige sind inzwischen verpackt.« Auch auf der Ablage und auf dem Schreibtisch liegen die runden Metallscheiben. Silber und Bronze unterschlägt er, bleiben unerwähnt. Und Platzierungen? »Da gibt es viele«, meint er kurz und bündig. Doch den Überblick verliert Müller nicht. Er führt akribisch Tagebuch, dokumentiert Trainingstage und -einheiten, Zeiten, Wettkämpfe, einfach alles. »Man kann wunderbar Vergleiche ziehen, sich aber auch kontrollieren.«

Wie schafft man vom Trainingsfleiß einmal abgesehen derartige Spitzenleistungen? Doping? Müller lacht herzhaft. »Nie! Ich wär’ wohl der Erste, der sowas zugibt. Aber unerlaubte Mittel, um die Leistung zu steigern, einfach Betrüger, die gibt’s wohl überall.« Deshalb haben Müller und seine Sportkollegen eine Art Ehrenkodex gegen Doping mitunterzeichnet. Gesunde Ernährung ist die Basis für die Lauflegende: »Ich rauche nicht, trinke keine Cola, esse kein Fast Food. Meine Frau kauft im Bio-Laden ein, unsere Obstsäfte sind naturrein, haben keine chemischen Zusätze.« Und Alkohol? »Ein Glas Wein zum Genuss, warum nicht? Ich habe nichts gegen Alkohol einzuwenden, erst wenn’s zu viel wird oder gar Suchtgefahr besteht, wird’s gefährlich.«

Bleibt die Medizin als Erklärung für das Laufwunder. Experten wollten das Geheimnis ergründen, Müller machte mit, wurde an der Technischen Universität München für Sportmedizin einen Tag lang auf »Herz und Nieren« gecheckt. Bei der Analyse der Werte nach Belastungstests trat Erstaunliches zu Tage: »Mein Herz ist fast doppelt so groß wie das eines ›normalen‹ 70-Jährigen.« Und der Fettanteil seines Körpers geringer, die Knochendichte fast doppelt so stark. Kurzum: Müller ist fit wie ein junger Mann. Indes haben auch andere durchtrainierte Senioren ähnlich gute Werte. Warum nun der Unruheständler schneller läuft als seine Konkurrenten, bleibt trotz aller Wissenschaft wohl für immer ein Geheimnis. Guido Müller ist eben ein Phänomen. ikb

Artikel vom 11.10.2011
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