Albrecht Ackerland über Grattler

München - „Da schau her“

Man kann es sich ganz leicht machen: Grattler sind das, die da am Sendlinger Tor oder an der Münchner Freiheit rumlungern. Oder am Pariser Platz. Oder am Orleansplatz. Eine Arbeit sollen sie sich suchen. Mei, sollen's halt mit der Sauferei aufhören. Jedenfalls: Schleichen sollen's sich, die Grattler. Man kann es sich auch schwer machen: Sich unbedingt auf die Bank setzen wollen, um die sich eines jener Grüppchen schart, gar: mit ihnen reden wollen.

Ich habe es versucht – und wurde ganz ordentlich beschimpft, ich solle mich schleichen, das gehe mich gar nix an, was sie da so reden den lieben langen Tag. Das war mir einerseits ganz recht, dass ich zumindest ob meiner Erscheinung auf so einer Bank akzeptiert werde – kann einem ja auch Auftrieb verleihen, so eine Erkenntnis. Wäre allerdings auch schon wieder leicht, außerdem schüttelt es mich, wenn im Hirn dann doch wieder das Wort vom Grattler schwirrt.

Andererseits jedenfalls musste ich merken, dass meine Art, auf Leute zuzugehen, auch einmal nicht fruchten kann. Wer weiß ob ein einfaches Bierflascherl in der Hand gereicht hätte. Vielleicht war ich auch zur falschen Zeit am falschen Ort. Denn: Man kann auch andere Erlebnisse mit den so genannten Stammstehern haben. Freundliche, lehrreiche.

Jedenfalls habe ich größten Respekt vor den Streetworkern, die sich um die Stammgäste an manch öffentlichem Platz kümmern. Kein Einfaches: Oft haben jene Gäste zwar keine Arbeit und verbringen ihre Zeit eben bei schönem Wetter gerne im Freien. Alles aber noch keine kriminelle Tat für sich. Trotzdem steht hinter wahrscheinlich jedem der Menschen eine kleine oder auch große Tragik, er – oder sie – steckt in einem Loch, in einer Spirale nach unten, merkt es selbst nicht, oder schafft es längst nicht mehr alleine, sich wieder hochzuschrauben.

Diese Menschen zu verscheuchen, von einem Platzerl zum nächsten, ist jedenfalls keine Lösung. Der Traum wäre ja, sie einfach einzugliedern: Sollen sie doch rumstehen, ihr Bier dürfen sie auch trinken, aber wenn es sein muss, haben sie eben die Pflicht, einem alten Menschen zu helfen, der sich gerade nicht zurecht findet – oder einen Hundebesitzer darauf hinweisen, dass das hier keine öffentliche Tierbedürfnisstätte ist.

Eines jedenfalls ist sicher, und das sage ich auch auf die Gefahr hin, dass es klingt wie das Wort zum Sonntag: Wir sollten uns schon manchmal bewusst werden, wenn wir wieder ein bisserl Grattler im Kopf waren. Das jedenfalls ist der erste Schritt. Wenn es auch kein Leichtes ist.

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Artikel vom 02.04.2009
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