Stammsteher: Ihr Leben spielt sich auf der Straße ab

München - „Wir sind keine Penner“

Gerd und seine Stammsteher-Freunde treffen sich bei schlechtem Wetter unter der gläsernen Überdachung der U-Bahn-Treppen am Hasenbergl, dem so genannten „Schimpansenkäfig“. Foto: ko

Gerd und seine Stammsteher-Freunde treffen sich bei schlechtem Wetter unter der gläsernen Überdachung der U-Bahn-Treppen am Hasenbergl, dem so genannten „Schimpansenkäfig“. Foto: ko

Bei kaltem Wetter stehen Gerd und seine Freunde mit Alkohol und Zigaretten im Zwischengeschoss der U-Bahnstation Hasenbergl, manchmal auch auf den U-Bahn-Treppen unter der gläsernen Überdachung, dem so genannten „Schimpansenkäfig“. „Wir sind keine Penner“, sagt Gerd, „wir haben alle eine Wohnung“. Trotzdem trifft er sich lieber draußen mit Freunden, denn zu Hause fällt ihm die Decke auf den Kopf. „Da kann ich mich ja gleich einsperren lassen“, sagt er.

Gerd und seine Freunde sind Stammsteher, also Menschen, die zwar eine Wohnung haben, meistens aber keine feste Arbeit, und deren Leben sich im öffentlichen Raum abspielt. Die Stammsteher im Hasenbergl achten auf ihr Umfeld und halten es sauber. Sie passen sogar auf, dass „ihren Ladies“ nichts passiert. Mit „ihren Ladies“ sind die Streetworkerinnen Uli Schwandt und Manuela Neumeyer gemeint, die sich um die Stammsteher im Hasenbergl, in Haidhausen und am Michaelibad kümmern.

Wenn die Temperaturen steigen, sind die Stammsteher am „Rosengarten“ an der Blodigstraße. Familiär geht es dort zu, benachbarte Geschäftsleute und Stammsteher kennen sich. Wenn Letztere mit zunehmendem Alkoholgenuss stören, werden Streitigkeiten unter sich gelöst. „Mitarbeiter der Stadtbibliothek zum Beispiel schicken unsere Klienten einfach ein Stück weg“, sagt Schwandt.

Die Sozialpädagoginnen wissen, dass sie sich auf die Stammsteher verlassen können. So lässt Manuela Neumeyer unbesorgt ihren Rucksack mit Wertsachen bei ihren Klienten, wenn sie in die Stadtbibliothek zum Kopieren geht. Und sollte die Situation durch Streit brenzlig werden, sind Männer wie Gerd zur Stelle. Ansonsten verlassen sich die Frauen auf ihre Intuition und bringen sich erst gar nicht in Gefahr.

Dass am Hasenbergl das Miteinander einigermaßen einträchtig funktioniert, liegt laut Schwandt und Neumeyer vor allem daran, dass eine extreme Bindung an den Stadtteil herrsche. „Viele sind hier aufgewachsen und kennen sich von klein auf.“

Anders sieht es in Haidhausen oder am Michaelibad aus. Dort wechseln die Stammsteher oft und Anwohner reagieren genervt. „Mit mehr Wohnbebauung gibt es mit unseren Klienten einfach auch mehr Probleme“, sagen die Sozialpädagoginnen. Sie würden sich aber auch mehr Toleranz bei den dortigen Bürgern wünschen. Schließlich würden „Stammsteher“ ja nicht schon immer ihre Zeit auf Plätzen verbringen: „Es sind erwachsene Menschen mit eigener Biografie, die einen Haufen an Problemen herumschleppen.“

Auch die Polizei greift ein, wenn sich Ärger häuft. „Erst einmal ist ja nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Menschen öffentlich treffen“, sagt Gerhard Stern von der Abteilung Einsatz der Münchner Polizei. Aber leider bleibe es nach einem Suchtmittelkonsum nicht immer ruhig. Zwischenfälle jeglicher Art „versuchen wir schon durch Präsenz vor Ort zu unterbinden.“

In München verschieben sich soziale Brennpunkte immer mal wieder. Stern möchte den „Kontrolldruck“ durch die Polizei „hochhalten“, damit das auch so bleibt. Falls sich die Szene etabliere, „wäre das das Schlimmste, was passieren kann.“

Für das Projekt „Streetwork im Gemeinwesen“ wurden mittlerweile von der Stadt zweieinhalb Planstellen eingerichtet. 2001 wurde es initiiert, um damals Gärtnerplatz und Michaelibad zu betreuen, später kamen Hasenbergl und Orleansplatz und seit diesem Jahr Sendlinger-Tor-Platz und Münchner Freiheit hinzu. Für Anton Auer, Leiter der Teestube „komm“, wären weitere Planstellen „wünschenswert“. Denn die Menschen, um die sich „Streetwork im Gemeinwesen“ kümmert, seien meist nicht in der Lage, sich für Unterstützung selber an soziale Einrichtungen zu wenden. „Wir suchen die Menschen auf, die durch das Hilfenetz fallen.“

Für „Streetwork im Gemeinwesen“ stand ursprünglich eine Personalstelle zur Verfügung, ab dem Jahr 2006 waren es dann eineinhalb, eine davon bis Ende 2008 befristet. Im Oktober wurde per Stadtratsbeschluss diese Befristung in eine Regelfinanzierung umgewandelt und um eine Personalstelle auf nun 2,5 Stellen aufgestockt.

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Das Referat für Umwelt und Gesundheit (RGU) hilft Suchtkranken, um wohnungslose Menschen kümmert sich das Sozialreferat. Die Bereiche überschneiden sich manchmal, dann arbeiten RGU, Sozialreferat und weitere soziale Einrichtungen zusammen.

Auch für das RGU wären mehr Planstellen „wünschenswert“. Eine Ausweitung sei aber laut RGU-Öffentlichkeitsbeauftragter Renate Binder hinsichtlich „der erst kürzlich erfolgten Aufstockung und der Haushaltslage zur Zeit nicht geplant“.

Von Kirsten Ossoinig

Artikel vom 02.04.2009
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