Forstministerin Michaela Kaniber im Interview

Warum Bayern Bäume braucht

"Wir brauchen heute dringender denn je den wertvollen und klimaneutralen Rohstoff Holz". sagt Bayerns Forstministerin Michaela Kaniber. Foto: Pia Regnet

"Wir brauchen heute dringender denn je den wertvollen und klimaneutralen Rohstoff Holz". sagt Bayerns Forstministerin Michaela Kaniber. Foto: Pia Regnet

Bayern/München · Bayerns Wälder werden seit Jahrhunderten bewirtschaftet – und sind dennoch wertvoller Lebensraum für Tiere und Pflanzen geblieben. Die CSU-Politikerin Michaela Kaniber ist seit 2018 als Staatsministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auch für die Wälder zuständig.

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Im Interview mit Johannes Beetz erklärt sie, vor welchen Problemen die Bäume durch den Klimawandel stehen und warum sie eine zentrale Säule der Nachhaltigkeit sind.

Münchner Wochenblatt: In einer Tonne Holz stecken 510 Kilogramm Kohlenstoff: Dazu muss ein Baum 1,8 Tonnen CO2 der Atmosphäre entziehen und umwandeln. Eine Buche schafft das etwa im Laufe eines Menschenlebens. Kann man den Beitrag unserer Wälder zum Klimaschutz beziffern, Frau Kaniber?

Michaela Kaniber: Es sind sogar vier Beiträge, die unsere Wälder zum Klimaschutz leisten: die Bindung von Kohlenstoff in den Wäldern, die Bindung von Kohlenstoff in Holzprodukten, der Ersatz von anderen Materialien, die einen höheren CO2-Rucksack tragen und schließlich der Ersatz von fossilen Brennstoffen wie Erdöl und Erdgas. In Summe hatten die Wälder 2014 für Deutschland einen "Klimanutzen" von insgesamt 126 Millionen Tonnen CO2, hat der Bund berechnet. Damit wurden stolze 14 Prozent aller deutschen CO2-Emissionen kompensiert. Deshalb wird eine gute Forstpolitik für unser aller Zukunft immer wichtiger.

Kein anderes Bundesland verfügt über eine größere Waldfläche als Bayern: 2,6 Millionen Hektar sind von Wald bedeckt, im Freistaat stehen etwa fünf Milliarden Bäume. Neben der Forstwirtschaft haben Wälder vielfältige Funktionen zur Erholung, als Schutzwald, als Wasserreiniger und -speicher, für die Artenvielfalt. Welche dieser Funktionen wären auch ohne Wald machbar?

Kaniber: Uns Deutschen sagte man schon immer nach, dass wir eine sehr innige Verbindung zum Wald haben. Bei einem Spaziergang durch den Wald geht uns doch das Herz auf. Zunächst einmal erbringen natürlich auch andere Landökosysteme neben dem Wald wichtige Funktionen für Mensch und Umwelt. Denken Sie nur an die Erholung oder Artenvielfalt.
Einige Funktionen machen den Wald darüber hinaus besonders wichtig, wie etwa der Schutz vor Steinschlag und Lawinen im Gebirge. Auch zahlreiche Tier- und Pflanzenarten sind spezielle Waldbewohner, wie zum Beispiel die Wildkatze, Spechte und Fledermäuse oder viele holzbesiedelnde Pilze und Insekten. Auch die Klimaregulations- und Klimaschutzwirkung des Waldes können eben nur dort erbracht werden. Nicht zuletzt erholen sich Menschen in Wäldern besonders gut. Kurzum, wir brauchen den Wald in Bayern!

Jedes Jahr wachsen in Bayern mehr Bäume nach, als gefällt werden. Wie ist die aktuelle Bilanz?

Kaniber: Gute Zahlen liefert uns dazu die "Bundeswaldinventur" – demnach hat es mit etwa 450 Kubikmeter Holz je Hektar noch nie so hohe Holzvorräte im Privatwald gegeben. Nur etwa zwei Drittel davon werden genutzt. Allein in Bayern wächst jede Sekunde ein Kubikmeter Holz, in dem übrigens rund eine Tonne CO2 gebunden wird, im Wald dazu. Alle 40 Sekunden ist das quasi die Holzmenge für ein ganzes Holzhaus. Ich finde das sehr beeindruckend! Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass der Wald auch vielen klimabedingten Belastungen ausgesetzt ist und unsere Hilfe braucht.

Der Wald ist ein Paradebeispiel für Nachhaltigkeit. Der Begriff meint ja nichts anderes als "weniger verbrauchen als gleichzeitig nachwächst". Wo hat die Strategie historisch gesehen ihren Ausgangspunkt?

Kaniber: Tatsächlich in der Forstwirtschaft, und das schon vor über 300 Jahren! Unsere Waldbauern waren schon Natur- und Klimaschützer, lange bevor es diese Begriffe gab. Im Jahr 1713, in Zeiten neuzeitlicher Holznot, schrieb der sächsische Berghauptmann Hans-Carl von Carlowitz das erste Mal von einer "nachhaltenden Nutzung" – eine geniale Idee zur Sicherung der Holzversorgung.
Heute verstehen wir "Nachhaltigkeit" bei der Waldbewirtschaftung noch viel umfassender: Wir wollen kommenden Generationen Wälder hinterlassen, die all ihre unverzichtbaren Funktionen bestmöglich erfüllen können. Dazu zählen neben der Holznutzung auch die Erholung, der Schutz vor Naturgefahren, der Klimaschutz oder der Erhalt der biologischen Vielfalt.

Das Bewusstsein für Umwelt und Wald ist groß: Bürger gehen oft auf die Barrikaden, wenn sie wegen Bau- oder Gewerbeprojekten Bäume in Gefahr sehen. Andererseits gibt es alleine in München jedes Jahr 1.500 bis 2.500 "Privatbäume" weniger als im Vorjahr. Müssten wir in den Städten das Baurecht nicht hinter das "Baumrecht" zurückstellen?

Kaniber: Ohne Zweifel ist der Erhalt von Bäumen, sei es im bebauten oder unbebauten Bereich, immens wichtig. Das gilt besonders in Zeiten veränderter Klimabedingungen. Aber auch, weil Grün in der Innenstadt diese doch auch lebenswerter macht. Auf allen Ebenen werden daher wo immer möglich Anstrengungen unternommen, um Bäume zu erhalten. Dazu haben viele Gemeinden sogenannte "Baumschutzverordnungen" erlassen. Man muss aber bei allen Bemühungen auch berechtigte Aspekte der Entwicklungsmöglichkeit, der Verkehrssicherheit und der Zumutbarkeit im Blick haben. So kann es auch immer wieder dazu kommen, dass Bäume auf bebauten privaten Grundstücken oder entlang von Straßen gefällt werden müssen. Gerade die Trockenheits- und Insektenschäden der zurückliegenden Jahre lassen vielerorts Gefahren entstehen.
Mir persönlich ist es wichtig, dass an solchen Stellen oder auch gerne an anderen Stellen wieder neue Bäume nachwachsen können. Mit einem Bekenntnis zu mehr Bäumen geht der Freistaat Bayern mit gutem Beispiel voran: Innerhalb von fünf Jahren werden wir 30 Millionen Bäume pflanzen.

Haben Sie als "oberste Försterin" im Freistaat eigentlich einen Lieblingsbaum?

Kaniber: Das ist ungefähr so, als wenn Sie mich als Mutter nach meinem "Lieblingskind" fragen. Die Antwort ist dieselbe: Mir liegen alle gleichermaßen am Herzen. Denn wie in einer Familie auch, hat jede Baumart ihre Stärken und Schwächen, die es zu erkennen und gezielt zu fördern gilt. Gerade im Hinblick auf die Klimaerwärmung und den so dringend nötigen Waldumbau brauchen wir alle Baumarten, um standortbezogen ihre besonderen Eigenschaften in einem bunten, vielfältigen, stabilen Zukunftswald einzubringen. Nach dem Lieblingswald gefragt, fallen mir natürlich spontan die Wälder in meiner Heimat Berchtesgadener Land ein, die ich mit schönen Erlebnissen aus meiner Kindheit und mit herrlichen Spaziergängen mit meiner Familie verbinde.

Artikel vom 19.02.2021
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