Im Namen des Volkes

Bundesweit Demos gegen TTIP und CETA am 17. September

Mit 20.000 Teilnehmern rechnen die Initiatoren der Großdemo am 17. September in München, während zeitgleich das Oktoberfest beginnt.	Foto: Nicola Quarz, CC BY-SA 2.0

Mit 20.000 Teilnehmern rechnen die Initiatoren der Großdemo am 17. September in München, während zeitgleich das Oktoberfest beginnt. Foto: Nicola Quarz, CC BY-SA 2.0

München · Haben sich Politik und Wirtschaft zu weit von den Bürgern entfernt? Verhandeln Politik und Wirtschaft über Themen, die die meisten Bürger nicht verstehen können? Warum ist der Widerstand in der Bevölkerung gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA so groß und warum halten Bundesregierung und EU-Kommission dennoch so sehr daran fest?

Im Namen des Volkes
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»Demokratie« bedeutet »Herrschaft des Volkes«. Deshalb will der bundesweit aktive Verein »Mehr Demokratie« die Sache jetzt selbst in die Hand nehmen. Am Samstag, 17. September, finden in sieben deutschen Städten Großdemos gegen TTIP und CETA statt, auch in München. Beginn ist um 12 Uhr am Odeonsplatz, von dort geht es im etwa viereinhalb Kilometer langen Protestmarsch in die Altstadt und entlang der Isar zurück zum Ausgangspunkt.

Den Zeitpunkt für die Großdemos haben die Veranstalter bewusst gewählt. Zwei Tage später, am 19. September, entscheidet die SPD auf einem Parteikonvent über ihre Haltung zu CETA. Der Plan, den »Mehr Demokratie« verfolgt: Seit Monaten ist an TTIP und CETA gerüttelt worden. Inzwischen wackeln die Abkommen gehörig. Jetzt wollen ihre Gegner die Abkommen endgültig zu Fall bringen. Für Wirtschaftsvertreter wäre das fatal. Die Verhandlungen ziehen sich ohnehin in die Länge. Industrie- und Handelstag und Handwerkskammern in Bayern setzen auf TTIP. Sie setzen darauf, weil mit TTIP die ihrer Meinung nach hohen Handelshemmnisse des US-amerikanischen Marktes abgebaut werden könnten. Die USA gehören für die bayerische Wirtschaft zu den wichtigsten Handelspartnern. Und das betreffe nicht nur Großkonzerne: »Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) hat einen hohen Stellenwert für die mittelständische Wirtschaft«, wie die Kammern auf dem Außenwirtschaftsportal Bayern erklären. Gleichzeitig wollen sie eine sachliche und offene Diskussion über Chancen und Herausforderungen von TTIP fördern. Doch die Menschen erreichen sie dabei nur in sehr geringem Umfang.

Die Bürger stehen der Globalisierung skeptisch gegenüber, bei Weitem nicht nur in Europa. Auch in den USA hat die TTIP-Euphorie – wenn es sie überhaupt gab – merklich nachgelassen. Das Prestigeprojekt des scheidenden Präsidenten Barack Obama kommt bei den US-Bürgern immer schlechter weg. Die amerikanische Wirtschaft kann sich auch nur wenig begeistern. Handelserleichterungen ja, aber über die hohen Sozialstandards in Deutschland und Europa schlagen die Macher mit der »Hire-and-Fire-Mentalität« die Hände über den Köpfen zusammen, während die US-Gewerkschaften frohlocken. Nicht zuletzt handelt es sich um ein beidseitiges Abkommen, das auch den Europäern den Zugang zum US-Markt erleichtern soll. Und davor hat die US-Wirtschaft einen Heidenrespekt.

Wenn Obamas Amtszeit im Januar zu Ende geht, werden die Verhandlungen deutlich erschwert, denn keiner seiner potenziellen Nachfolger kann sich so für das Projekt begeistern wie Obama. Behindert werden die Verhandlungen auch durch die anstehenden Wahlen in Deutschland und Frankreich im kommenden Jahr. Vielleicht verschwindet TTIP im Laufe dieser Zeit einfach in einer Schublade der Geschichte. Darauf verlassen will sich »Mehr Demokratie« nicht. Der Verein maßt sich aber nicht an, die Abkommen mit zusammenkonstruierten wirtschaftspolitischen Argumenten zu attackieren. Viel mehr formuliert die Vorstandschaft Kritik an den Abläufen. So lautet die Forderung von »Mehr Demokratie«: Verhandlungstexte aller Seiten sind zu veröffentlichen. Bei CETA ist das mittlerweile geschehen, sogar auf Deutsch, aber das Abkommen ist bereits ausverhandelt. Änderungen wird es keine mehr geben. Grundsätzlich aber sollten alle Verhandlungsvorschläge bereits vor den eigentlichen Gesprächen veröffentlicht werden, so die Forderung auch für zukünftige multi- oder bilaterale Vertragsvorhaben. Die Verhandlungen selbst müssten dagegen nicht öffentlich geführt werden, wenn es nach dem Verein geht.

Auch durch die Beteiligung von Interessenvertretern hat sich die EU-Kommission die kritischen Blicke des Vereins zugezogen. So habe sich die EU-Kommission vor Beginn der TTIP-Verhandlungen nach eigenen Angaben zu mehr als 90 Prozent mit Wirtschafts- und Industrievertretern beraten. Innerhalb der deutschen Wirtschaft gibt es grundsätzlich mehr Befürworter als Kritiker zu TTIP, darunter auch den Hauptgeschäftsführer des DIHK, Martin Wansleben, der TTIP erst vor wenigen Tagen als »Riesenchance« bezeichnete, nachdem Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel das Abkommen für »de facto als gescheitert« erklärt hatte.

CETA dagegen ist bereit für seinen Einsatz. Der immer als »Blaupause für TTIP« gehandelte Vertrag sollte ursprünglich als EU-Angelegenheit vom Europäischen Parlament und vom Europäischen Rat durchgewinkt werden. Nachdem sich Unmut über diese juristisch wasserdichte Entscheidung breitmachte, hat EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström Anfang Juli erklärt, das Abkommen müsste doch durch alle nationalen Parlamente der EU-Staaten. Dennoch könnte CETA vorläufig angewandt werden. »Die vorläufige Anwendung ist undemokratisch, weil sie Parlamente und Bürger vor vollendete Tatsachen stellt und auch den Druck zur Ratifikation erhöht«, kritisiert »Mehr Demokratie«. Damit könnten auch die so gefürchteten Investor-Staat-Klagen vor Schiedsgerichten eingereicht werden. CETA würde sozusagen nebenbei inkrafttreten.

Stattdessen fordert der Verein die direktdemokratische Kontrolle von Handelsverträgen. Nach Abschluss von Verhandlungen sollte ein Referendum angesetzt werden. Grundlage für die Entscheidung der Bürger müsste dann ein Wahlkampf sein, in dem die Fakten erklärt und die Vor- und Nachteile beim Namen genannt werden – etwas, was weder bei CETA noch bei TTIP geschehen ist.

Vorteile zählt das ifo Institut für Wirtschaftsforschung auf. Das anerkannte Institut erwartet durch TTIP bis zu 110.000 Arbeitsplätze mehr in Deutschland und einen Anstieg des durchschnittlichen Bruttomonatsverdiensts. Der Nachteil: Dieser Aufschwung ginge zulasten von Drittländern, die nicht an den jeweiligen Abkommen beteiligt sind. Die Folge daraus können wachsende Armut und politische Instabilität sein – in einer Welt, deren Wohlstandsgefälle so groß ist wie noch nie und in der es so viele Kriegs- und Krisenherde gibt wie noch nie, wäre das ein hoher Preis für regional begrenzten Wirtschaftswachstum und Wohlstand.

Es gibt viele gute Gründe für und gegen CETA und TTIP. Die Gegner scheinen in der Mehrzahl zu sein, aber sie sitzen nicht an den Hebeln der Macht. Deshalb machen sie mit Großdemonstrationen auf sich aufmerksam. Am 17. September in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln, Leipzig, Stuttgart und München. Allein in der bayerischen Landeshauptstadt erwartet Simon Strohmenger von »Mehr Demokratie« 20.000 Teilnehmer, bundesweit rechnet der Verein mit 200.000 bis 250.000. Dass das Oktoberfest in derselben Minute beginnt wie die Demo am Odeonsplatz, ist durchaus ein Nachteil. »Wir haben deswegen auch schon etwas konservativer gerechnet«, meint Strohmenger. Nachdem die Großdemos in den anderen Städten um 12 Uhr beginnen, wollten die Organisatoren für München keinen eigenen Weg einschlagen. Bewusst sind den Veranstaltern mögliche Probleme bei der Anfahrt. Am 17. September werden noch mehr Menschen in der Stadt unterwegs sein als sonst. »Wir haben zusammen mit dem KVR ein gutes Busanfahrtskonzept ausgearbeitet«, berichtet Strohmenger. Ob sich die Bundes-SPD von dem großen Aufwand, den der Verein insgesamt betrieben hat, beeindrucken lässt, und ob den Politikern 250.000 von 80 Millionen Menschen reichen, steht auf einem anderen Blatt.

Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 09.09.2016
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