»Live im Casino«

Geschichtsträchtig: Was birgt die Villa an der Winzererstraße?

Immanuel Drißner spielt beim Konzert in der Kantine Geige – »ungewöhnlich« für Peter Weywadel, wenn statt Essensdüften Musik das Casino erfüllt. 	ko

Immanuel Drißner spielt beim Konzert in der Kantine Geige – »ungewöhnlich« für Peter Weywadel, wenn statt Essensdüften Musik das Casino erfüllt. ko

Schwabing · Verwunschen wie ein Märchenschloss liegt die Villa hinter Mauern an der Winzererstraße 41, Ecke Schwere-Reiter-Straße. Doch was verbirgt sich hinter diesen Mauern? Das fragt sich vielleicht der eine oder andere Schwabinger.

Dieses Rätsel kann gelüftet werden – und auch die Tatsache, dass das Gebäude demnächst Schauplatz einer musikalischen Veranstaltung sein wird: Die Villa, die dem Freistaat Bayern gehört, beherbergt die Kantine für die Mitarbeiter des Fachbereichs Straßenbau des Staatlichen Hochbauamts Freising. 2007 wurde es mit dem Straßenbauamt München zusammengeführt.

Am Samstag, 23. November, weicht der Amtsschimmel jedoch für eine weitaus opulentere Nutzung der Räume: Um 17 Uhr findet dort unter dem Motto »Live im Casino« das Konzert »Musikalische Abenteuer aus der Tierwelt und von Till Eulenspiegel«, für junge Leute, unterstützt von der Bayerischen Staatsoper, statt.

Das Besondere daran: Das Konzert ist eine einmalige Angelegenheit. Durch »mehrere glückliche Umstände« habe sich die Gelegenheit ergeben, hier ein »exquisites Programm für junge und jung gebliebene Leute« zur Aufführung zu bringen, sagt Immanuel Drißner, Musiker des Bayerischen Staatsorchesters. Er freut sich sehr auf die Aufführung, die er mit mehreren Musikerkollegen des Staatsorchesters sowie der Moderatorin Ursula Gessert, Leiterin der Kinder-und Jugendabteilung der Bayerischen Staatsoper, bestreiten wird. Über die Akustik im Speisesaal, in dem die Darbietung stattfinden wird, kann Drißner noch nichts sagen. Denn geprobt haben die Musiker für die Aufführung bislang jedes Mal in der Oper. Immerhin hat das Casino den ganz persönlichen Akustiktest des Geigers schon bestanden: Jedes Mal, wenn er in einen großen Raum kommt, schnalzt er mit der Zunge, um ihn in Sachen Klangvolumen zu testen.

Auch für Peter Weywadel, Bereichsleiter Straßenbau des Bauamtes, ist die Veranstaltung »auf jeden Fall ungewöhnlich« – ziehen dann doch Klänge der Instrumente hochkarätiger Musiker durch die Räume, statt Schwaden der Gerichte des mittäglichen Kantinenspeiseplans. Auch Weywadel betont die Einmaligkeit der Veranstaltung: »Das Gebäude steht üblicherweise nicht für derartige Veranstaltungen zur Verfügung.«

Die ­Planungen für das Konzert begannen Anfang 2013, in den vergangenen zwei Wochen sind sie in die heiße Phase ­eingetreten. Am Samstag wird dann eine Bühne von vier mal sechs Metern in der zirka 13 mal 16 Meter großen Kantine aufgebaut. Es gibt 199 Sitzplätze. Mehr dürfen es laut Immanuel Drißner aus feuerpolizeilichen Gründen nicht sein. Die Künstler geben dann musikalisch und verbal die Geschichten von Ferdinand, dem Stier, der zerstreuten Brillenschlange und Till Eulenspiegels Streiche zum Besten.

Leben am Ackermannbogen

Geburtsstätte Ackermannbogen

Die Geburtsstätte zur Idee, eine Konzert im Casino zu veranstalten, liegt nur wenige Schritte von der Villa entfernt: im Neubaugebiet am Ackermannbogen. Denn die Projektgruppe Kultur des Vereins Ackermannbogen suchte eigentlich zunächst eine Örtlichkeit für den Auftritt des Kinderchores, dessen Leiterin Immanuel Drißners Frau, Verena Kley, ist. So entstand der Kontakt zu den Musikern der Bayerischen Staatsoper. Das Casino war Teil der Prinz-Leopold-Kaserne, eine Kavalleriekaserne der bayerischen Armee in München, benannt nach dem ehemaligen Kommandeur des ersten Schwere-Reiter-Regiments, Prinz Leopold von Bayern.

Nach der Schließung der Hofgarten- und der Seidenhauskaserne wegen einer Typhusepidemie 1893 wurde das Areal für den Bau einer neuen Infanteriekaserne für das zweite Infanterieregiment genutzt. Insgesamt umfasste die Kaserne zwei »Doppeleskadronkasernen« für je 376 Personen und eine »Einzeleskadronkaserne« für 236 Personen. Dazu kamen ein Stabsgebäude, ein Wirtschaftsgebäude, ein Familienwohngebäude, drei Reithallen, fünf Stallungen, ein Krankenstall, eine Schmiede und eine Remise. Alle Gebäude sind im neobarocken Stil errichtet, Architekten waren die Bauräte Georg Zeiser und Beetz.

Als besonders repräsentativ galt bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die sogenannte »Offizierspeiseanstalt«, die Villa an der Winzererstraße, die also damals schon als Kantine genutzt wurde. In den 1980er-Jahren beherbergte sie eine Chemiefabrik. Nach mehrjährigem Leerstand wurde sie 1989/90 vollständig erneuert.

Mitgewirkt an der Renovierung für knapp 8 Millionen Mark hat damals auch der heutige Bauamtsleiter Gerhard Breier. Ende der Achtzigerjahre war er der Abteilungsleiter im Münchner Landbauamt, das für die Renovierung zuständig war. »Es hat wirklich schlimm ausgesehen damals«, erinnert sich Breier. Bäume seien durchs Dach gewachsen. Brandgeruch habe noch im Gemäuer gehangen, von einem Feuer in der ehemaligen Chemiefabrik. Die Terrasse gab Breier zunächst Anlass zur Hoffnung: »Hier ist nicht viel zu machen«, hat Breier erleichtert gedacht.

Alles nur Attrappe

Doch der erste Eindruck täuschte: Das, was gut erhalten aussah, stellte sich als Film­attrappe unter anderem aus Styropor heraus – war doch das Casino eine beliebte Filmkulisse, etwa bei Regisseur Rainer Werner Fassbinder oder für Schimanski-Tatorte. Die Filmleute hatten damals einfach das marode Gemäuer notdürftig für die Dreharbeiten mit Pappmaché und Co. vervollständigt. Wer also am Samstag um 17 Uhr beim Konzert dabei ist, kann sich nicht nur auf tolle Musik, sondern auch auf einen geschichtsträchtigen Rahmen freuen. Karten gibt es zu 8 Euro für Kinder und zu 10 Euro für Erwachsene unter Tel. 30 74 96 35 oder per E-Mail unter vorverkauf@ackermannbogen-ev.de. Kirsten Ossoinig

Artikel vom 19.11.2013
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