Münchner Wissenschaftler über den Kampf gegen den drohenden Fachkräftemangel

Warum Deutschland mehr Zuwanderung braucht

Hält Integrationspolitik für eines der Zukunftsthemen: Dr. Matthias Kortmann.

Hält Integrationspolitik für eines der Zukunftsthemen: Dr. Matthias Kortmann.

München · Deutschland wird kleiner und älter. Die Zahl der Beitragszahler für die Rente sinkt. Das ist schon lang kein Geheimnis mehr, sondern für die Zukunft sichere Gewissheit.

»Es gibt ja Ideen der Politik dem entgegenzusteuern, etwa mit der ›Rente mit 67‹ oder der noch stärkeren Einbindung von Frauen am Arbeitsmarkt, aber das wird wahrscheinlich nicht reichen«, sagt Dr. Matthias Kortmann, Dozent am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der LMU München, der sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit seit Jahren mit dem Thema Demografie und Migration beschäftigt. Der 34-Jährige ist überzeugt: Deutschland braucht mehr Zuwanderung, um zukunftsfähig zu bleiben.

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Darüber spricht der Politologe am Dienstag, 19. November, 13.45 Uhr, bei den 13. Münchner Wissenschaftstagen, die ab diesem Samstag bis Dienstag, 19. November, in Alter Kongresshalle und Deutsches Museum Verkehrszentrum auf der Theresienhöhe stattfinden. 300 Spitzenwissenschaftler präsentieren dort täglich zwischen 10 und 22 Uhr unterhaltsam und leicht verständlich neue Erkenntnisse aus Umweltforschung, Demografie, Medizin, Technologie und vielen anderen Wissensgebieten – in Form von Vorträgen, Führungen, Workshops, einem Kinderprogramm sowie interaktiven Marktständen der Wissenschaft. Der Eintritt ist frei, das ganze Programm findet sich unter www.muenchner-wissenschaftstage.de.

Thema ist heuer »Wandel der Gesellschaft, Wandel der Welt«. »Gab es 2008 noch 44,5 Millionen Arbeitskräfte in Deutschland, werden es 2025 laut Prognosen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 38 Millionen sein. 2050 rechnet man nur noch mit 26,7 Millionen«, sagt Kortmann. Um das auffangen zu können und 41,3 Millionen Arbeitskräfte im Jahr 2025 zu erreichen, müssten jährlich 100.000 Einwohner dazukommen. Dafür soll etwa die »Blue Card« der EU sorgen. Die »Blaue Karte« ermöglicht seit August 2012 internationalen Fachkräften mit einem deutschen, anerkannten ausländischen oder einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss, in Deutschland zu arbeiten, wenn ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliegt und bestimmte Gehaltsgrenzen eingehalten sind.

Gute Ansätze, findet Kortmann, aber was in Deutschland vor allem fehle, sei eine »Willkommenskultur«: »Deutschland hat sich lange gewehrt, sich als Einwanderungsland zu sehen und gilt bei Hochqualifizierten auch als weniger attraktiv als etwa USA und Kanada. Das liegt sicher auch an der Sprache, da sind englischsprachige Länder im Wettbewerbsvorteil«.
Aber es gehe ja nicht nur um Spitzenkräfte und Akademiker, sondern auch um Fachkräfte und Handwerker. Nach einer aktuellen Studie der IHK besteht in den Unternehmen in der Region München bereits jetzt eine sogenannte Fachkräftelücke von zirka 100.000 Stellen, die nicht besetzt werden konnten, da die entsprechenden Akademiker und Ausgebildeten fehlen, so das Münchner Referat für Arbeit umd Wirtschaft. Befragt nach den größten Risikofaktoren für die eigene wirtschaftliche Entwicklung geben die Firmen bei IHK-Umfragen seit Jahren stets den Fachkräftemangel als eines der Top-Themen an.

Gerade auf kommunaler Ebene passiere viel, findet Matthias Kortmann. Etwa das neue Service-Center der Ausländerbehörde im Münchner Kreisverwaltungsreferat, wo seit Oktober 14 Mitarbeiter und eine Dolmetscherin internationale Fachkräfte gezielt bei Ersteinreise und Arbeitsaufnahme in München betreuen, oft schon im Herkunftsland. Die Zuwanderungspolitik müsse aber noch mehr so gestaltet werden, dass die Einwanderer da hinkommen, wo sie gebraucht werden, meint Kortmann. Das bedeute auch, dass kleinere Kommunen attraktiver werden müssen, auch für die Familien der neuen Fachkräfte, etwa durch den Ausbau von Kitas. Was in großen Unternehmen bereits üblich ist, sollte auch in kleinen und mittleren Betrieben Einzug halten, wo der Bedarf an Fachkräften besonders hoch sei: »Diversity Management«, also wie geht man mit kultureller Vielfalt um und wie löst man mögliche Konflikte.

Kortmann wünscht sich auch mehr Flexibilität: Was brauchen wir (je nach wirtschaftlicher Entwicklung) und was bringen die Leute an Qualifikationen mit, müsste die neue Leitlinie der Politik sein. Der Wissenschaftler beschäftigt sich seit seinem Studium in Münster intensiv mit dem Thema, weil er es für eines der zentralen Zukunftsfragen hält. Nach Station in den Niederlanden lebt er nun seit April in Milbertshofen, einem Stadtteil mit einem vergleichsweise hohen Ausländeranteil. »Hier scheint die Mischung aber zu stimmen, alles ist entspannt, ich empfinde die Vielfalt als große Bereicherung.« Gebe es bei der Integration Probleme, liege das meist ohnehin nicht an der anderen Kultur und Migration, sagt der Politologe, sondern an sozialen Faktoren, die aber auch Deutsche beträfen: »In Deutschland hat man es schwer aufzusteigen, wenn man aus einem sozial niedrigen oder bildungsfernen Milieu kommt.« Hier würde ein durchlässigeres Schulsystem helfen. Überhaupt sollte die Integrationspolitik nicht isoliert betrachtet werden, das Thema betreffe jeden Politikbereich: »Migranten sind auch Schüler, Konsumenten und Steuerzahler.«

Für den Wissenschaftler wäre es ein »positives Signal«, wenn Deutschland die doppelte Staatsbürgerschaft zulassen würde, über die ja gerade auch wieder bei den Koalitionsverhandlungen diskutiert wird. Das würde zeigen: ›Wir misstrauen euch nicht, auch wenn ihr zwei Staatsbürgerschaften habt‹, zumal für zugewanderte EU-Bürger ja das Recht bereits gelte. »Man kann beides sein, loyal gegenüber Deutschland und seinen kulturellen Hintergrund pflegen«. Von Michaela Schmid

Sind Sie für die doppelte Staatsbürgerschaft? Stimmen Sie ab unter www.samstagsblatt.de.

Artikel vom 14.11.2013
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