Experten des Vereins für Pilzkunde München klären jeden Montag im Münchner Rathaus auf

Münchner Pilzberatung gibt seit fast 100 Jahren Nachhilfe für Schwammerl-Sucher

München · Es kommt durchaus vor, dass ein Pilz mit einem Taxi angeliefert wird, und das mitten in der Nacht. Dann ist an Schlaf erstmals nicht mehr zu denken, denn Renate und Helmut Grünert müssen den Pilz sofort und genauestens unter die Lupe nehmen.

Der Auftrag kommt vom Klinikum Rechts der Isar, man will dort wissen, um welchen Pilz es sich handelt beziehungsweise eine weitere Expertise einholen, denn ein entsprechender Vergiftungsfall liegt vor. Im vergangenen Jahr gab es allein 900 Anrufe von der Toxikologischen Abteilung des Klinikums, das alle Anfragen aus Krankenhäusern bayernweit koordiniert. »Nicht immer ist es eindeutig, Pilze sind eine Wissenschaft für sich«, sagt das Ehepaar Grünert. Beide sind im Verein für Pilzkunde München e.V. und beide haben bereits in den 70er-Jahren die Prüfung zum Pilzsachverständigen abgelegt. Seitdem sind sie ehrenamtlich tätig bei der Pilzberatung der Stadt München, die seit gut zehn Jahren in der Stadtinformation im Rathaus zu finden ist und im Rathaus Pasing. Über 3.000 Beratungen fanden an beiden Standorten seit 1998 statt.

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Gefragter denn je

Das spezielle Wissen der Grünerts ist gefragter denn je, denn so gerne die Münchner auch »in die Schwammerln« gehen, so wenig kennen sie sich aus. Das gilt freilich nicht für alle. Doch es werden, so berichten die Grünerts, immer mehr, die nicht so recht wissen, ob sie in ihr Körberl einen Knollenblätterpilz gelegt haben oder ein völlig ungiftiges Exemplar. »Die meisten nehmen sich nicht mehr die Zeit, sich ernsthaft mit den Pilzen auseinanderzusetzen«, sagt Helmut Grünert.

»Schwammerl sammeln ist nur noch eine Freizeitbeschäftigung von vielen. So wie man eben im Sommer ins Freibad geht.« Was die Grünerts davon halten, ist ihnen sofort im Gesicht abzulesen. »Wenn man überhaupt keine Ahnung hat, dann soll man es lassen«, so Renate Grünert. »Mit ihrer Ahnungslosigkeit gefährden sie sich und andere.« Es muss dabei nicht gleich um Tod oder Leben gehen. Auch eine Eiweißvergiftung kann die Folge sein, etwa wenn man verdorbene Pilze zu sich nimmt. Man müsste denken, die Leute lassen derartige Pilze links liegen, doch dem ist nicht so. »Was die Leute ­alles essen, da stehen einem manchmal die Haare zu Berge. Vielen ist das Gefühl für Qualität abhandengekommen«, sagt Renate Grünert, die dann mit weiteren Pilzsachverständigen im Wechsel entsprechende Nachhilfe gibt. Auch in Fragen der Lagerung bis hin zu Kochrezepten suchen die Münchner, aber auch Touristen, etwa Italiener und Russen, Antworten.

Fünf- bis sechstausend Pilzarten gibt es in Deutschland. Manche davon haben gefährliche Doppelgänger. Junge Champignons beispielsweise ähneln dem Knollenblätterpilz. Wer sich auskennt, lässt sich freilich nicht täuschen: Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal ist die Farbe der Lamellen, die des Knollenblätterpilzes sind weiß, beim Champignon dagegen grau-rosa bis schokoladenbraun. Eine Verwechslung kann das Leben kosten. Doch erst zwölf Stunden nachdem der Pilz verspeist wurde, kommt es zu den ersten starken Beschwerden. Dann folgt eine kurze Phase der Besserung, doch sie ist trügerisch, denn die Leber ist bereits angegriffen und wird weiter geschädigt, was in vielen Fällen bis zum Tod führt.

Wichtig ist, sein Wissen immer wieder aufzufrischen. Was noch vor Jahren als unbedenklich galt, kann sich heutzutage als hochgiftig herausgestellt haben: »Deshalb Hände weg von alten Fachbüchern«, warnen die Grünerts. Über den Kahlen Krempling hieß es beispielsweise im Jahr 1971: »gekocht mit Vorbehalt essbar«. »Inzwischen sind bereits Menschen an Nierenversagen gestorben, nachdem sie davon gegessen haben«, berichtet Renate Grünert. Essbar galt auch der Grünling. In den 90er-Jahren jedoch fanden Forscher heraus, dass der Pilz eine schwere Muskelschwäche verursachen kann, mit vereinzelt tödlichen Folgen.

Im Jahr 2016 wird die Pilzberatung München ihr 100-jähriges Jubiläum feiern. Und ist immer noch eine Seltenheit, zumindest in Deutschland, wo es nur in einigen größeren Städten ein entsprechendes Angebot gibt. »Anders in Italien, da ist die Unterstützung von staatlicher Seite wesentlich höher, rund 1000 Pilzberatungen soll es dort geben«, berichtet Helmut Grünert. Los ging es damals in Deutschland während des Ersten Weltkrieges. »Damals mussten die Leute Pilze sammeln gehen, um ihre Eiweißversorgung zu sichern«, so Helmut Grünert. Doch habe es immer häufiger Pilzvergiftungen gegeben. Der Staat habe deshalb die Notwendigkeit erkannt, Pilzberatungen anzubieten.

Die Pilz-Beratungen finden bis zum 7. Oktober jeden Montag von 10 bis 13 Uhr und von 16.30 bis 18 Uhr in der Stadtinformation am Marienplatz statt, persönlich oder auch telefonisch unter Telefon 0 89/2 33-2 82 42. Auch bei der »Großen Pilz-Ausstellung« des Vereins in der Winterhalle im Botanischen Garten München-Nymphenburg vom 13. bis 15. September, täglich geöffnet von 9 bis 17.30 Uhr finden an allen Tagen Pilzberatungen statt. Gehen Sie auch Schwammerl suchen? Stimmen Sie ab unter www.samstagsblatt.de.

Von Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 30.08.2013
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