München · Albrecht Ackerland über Englische Verzückung

München · Fußball ist das, wo jeder Mann eine Ahnung zu haben hat: Es wird eigentlich weithin davon ausgegangen, dass das Verständnis für und das Interesse am Fußball im genetischen Code ein Heimspiel hat, angebandelt an das Y-Chromosom, dem Strafraum des menschlichen Genoms sozusagen.

Widerspruch zwecklos und nicht erwünscht. So werde ich fast Zeit meines Lebens wie ein Leprakranker behandelt, der zwar nett, freundlich, sympathisch, witzig, männlich, erotisch, stark, feinfühlig, klug, intelligent, stilvoll und schön, aber eben doch ein Leprakranker ist – denn mich hat der Fußball noch nie interessiert. Ich habe daraus nie einen Hehl gemacht, obwohl die Umstände in dieser Gesellschaft mich langsam zu dem schliffen, der ich nun neben meinem Dasein als Leprakranker eben auch bin: Ein Mensch mit einer Meinung, ohne auch nur die geringste Spur einer Ahnung zu haben. Das ist die Königsklasse der menschlichen Eigenschaften, schnell rücken da die anderen ins Abseits. Wer muss schon nett, freundlich, sympathisch, witzig, männlich, erotisch, stark, feinfühlig, klug, intelligent, stilvoll und schön sein, wenn er eine Meinung hat? Sie kennen das von der edelsten aller Aufopferungen für die Allgemeinheit – dem Berufspolitiker.

Ich habe also eine Meinung zum Fußball, völlig klar steht etwa der Wechsel Götzes nach München unter keinem guten Stern. Welche Position Götze spielt, was ihn zu einem so intergalaktisch teuren Zwanzigjährigen macht? Was weiß ich, das mag Männerwissen sein, ich plage mich mit anderen Sorgen, etwa warum Fußballer tendenziell sprachlicher Verrohung Vorschub leisten, und ihrer Vorbildfunktion auch sonst nur mager nachkommen, etwa wenn es um das Einsparen von Kohlendioxid geht. Bei der Übertragung von Spielen freue ich mich übrigens am meisten über dramatische Nahaufnahmen, wo Blut und Schweiß Hollywood-artig in Zeitlupe spritzt, und über Aufnahmen der Tribüne, wo im Idealfall Angela Merkel scheinbar grenzdebil in die Hände klatscht. Mein Freund, der Sportjournalist, regt sich da immer auf, dass er so das Spiel nicht ordentlich lesen kann, ich sage dann immer, nimm doch zum Lesen deine Zeitung, ihr wisst doch immer vorher schon alles besser. So hat jeder seine Meinung, und am heutigen Samstag sogar zwei: Ich finde es schade, dass zwei deutsche Mannschaften im Finale stehen, mir hätten die Bayern gereicht, die Spannung wäre europäischer geworden. Aber in jedem Fall werde ich mich hinterher amüsieren: Wenn die Bayern verlieren, ist die Stimmung in der Stadt so herrlich trostlos, im Idealfall hält das Herbstwetter noch die ganze nächste Woche dazu an. Wenn sie gewinnen, dann setzt das typische Münchner Geprotze ein, die Zone unter den männlichen Hosenbünden schwillt bedenklich – und ich strotze vor Arroganz, nicht dazugehören zu müssen. Und fühle mich ganz allein. Auch schön.

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Artikel vom 23.05.2013
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