Albrecht Ackerland über Großeltern

München · Da schau her!

Neulich musst ich wieder an meine Oma denken. Nun ist sie schon lange tot, aber wie man halt so sagt: Für mich lebt sie weiter. Ich hatte großartige Zeiten mit ihr, sie war eine humorvolle Frau mit Verständnis und Bewunderung für Neues, das oft, immer öfter nicht mehr so ganz ihrer Welt entsprach. So möchte ich einmal sein! Nicht mehr mitkommen mit all dem Fortschritt in der Gesellschaft, in der Technik, aber alles mindestens wohlwollend hinnehmen.

Wer im Alter all das, was ihm langsam unbegreiflich wird, gerade deshalb gut findet, der ist ein Held. Meine Oma war ein Held für mich. Ein Schicksal, das ich nicht mit jedem meiner Freunde teilte. Was da für Bissgurken auf der Matte standen, Omas, die sich „Großmutter“ nennen ließen und kurz davor waren, sich siezen zu lassen, vom Enkel mindestens, vom Schwiegersohn sowieso, und wenn die Mutter jenes Martins Glück hatte, durfte sie duzen. Das ist jetzt freilich übertrieben, aber ich habe es zu oft erlebt, das die ganze Martin-Familie in heller Aufruhr war, weil die Großmutter am Wochenende anzurücken drohte. Und der arme Martin? Bekam die aktuellen Ausrisse aus der Apotheken-Zeitung mitgebracht, „damit er auch mal etwas lernt“. Er hatte Glück. Der Thomas, ein anderer aus meiner Clique, bekam es gleich mit dem „Vatikan-Spezial“ zu tun.

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Ich hatte derweil ganz besonderes Glück, denn meine Oma kam nicht zu Besuch, schwadronierte nicht, roch nicht, war eine würdige Frau – was das genaue Gegenteil war, zur Herrschsucht von dem Martin der seinen. Meine Oma wohnte wenige Meter von uns entfernt, aber sie lebte ihr eigenes Leben, auch wenn der Mann längst tot war. Unser Haushalt? Unsere Sorge. Wohingegen dem Martin sein Wochenendzerstörer zwar weit im Frankenland residierte, aber sehr wohl das eigentliche Zepter im Haushalt Martin in der Hand hielt. Fernmündlich. Und mit monatlichen Kontrollbesuchen. Ich befürchte, dem Martin seine gestrafte Mutter bekam gar noch Ratschläge, wie der Mann in Schach zu halten sei. Ungefragt. Obwohl der Mann die Fürsorge in Person war, in meinen Augen zumindest.

Heute jedenfalls ist mir klar: Dem Martin würde ich heute helfen. So eine Leihoma ist doch schnell vermittelt, eine die sich freut, die fremdliebt, die versteht, dass ein Krachmacher ihr eigenes Leben eher noch verlängert, weil nach all den Jahren wieder ein Wind weht. Und im Zweifel: Hilft eine solche Leihoma der echten Oma sogar noch in die Schuhe.

Artikel vom 05.11.2009
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