Georg Mooseder († 2008) und Volker D. Laturell bewahren die Geschichte des Stadtteils

Zwei Männer, ein Gedächtnis: Das Moosach-Archiv

Georg Mooseder (li.) und Volker D. Laturell haben mit viel Idealismus ein in München einzigartiges Privatarchiv aufgebaut. Foto: Ulrich Koop

Georg Mooseder (li.) und Volker D. Laturell haben mit viel Idealismus ein in München einzigartiges Privatarchiv aufgebaut. Foto: Ulrich Koop

Moosach · Man könnte sie einfach »das Gedächtnis« nennen. Sie sind das Gedächtnis Moosachs. Die Rede ist von Volker D. Laturell und seinem Freund und Kollegen Georg Mooseder, der bis zu seinem Tod im Mai dieses Jahres noch an dem gemeinsamen Archiv in der Feldmochinger Straße gearbeitet hat. Nun setzt Laturell das Werk alleine fort.

Die Sammlung der beiden Hobbyhistoriker hat einen unschätzbaren Wert. Viele Menschen, die vergilbte Dokumente, wacklige Schwarzweiß-Fotografien und alte Zeitungen auf dem Speicher finden, können damit wenig anfangen. »Sie halten die Sachen für alten Krempel und werfen ihn einfach weg«, weiß Laturell. Dabei erzählt dieser »alte Krempel« Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit.

Kaum ein Münchner Stadtteil kann auf diese Weise seine Vergangenheit, seine Entwicklungsgeschichte der letzten 150 Jahre so lebendig werden lassen wie Moosach. Einzige Ausnahme: Feldmoching. Auch hier haben zwei Archivare eine umfangreiche Sammlung zusammengetragen. Ihre Namen: Mooseder und Laturell.

Die beiden benachbarten ehemaligen Dörfer verbindet in ihrer Historie vieles, aber sie haben genauso zahlreiche Verbindungen in die nähere und weitere Umgebung gehabt. Um die Geschichte zu verstehen, um Entscheidungen und Verhalten der Menschen aus früherer Zeit nachvollziehen zu können, sei es daher wichtig, auch das Umfeld des zentralen Forschungsgegenstands, wenn man Moosach wissenschaftlich mal so bezeichnen möchte, zu betrachten. Fragmentarisch sind deshalb zahlreiche weitere Münchner Stadtteile zum Sammelobjekt der beiden Urmünchner geworden. Auch die Landeshauptstadt selbst breitet sich über einige Aktenordner aus, gelb markiert, weil schwarz und gelb die Farben der Stadt sind. Auch Bayern findet sich im Archiv in der Feldmochinger Straße wieder, einen großen Teil nimmt auch die Historie des Dachauer Landes ein, weil Moosach und Feldmoching auch entscheidend durch die nahegelegenen Dachauer beeinflusst wurden – als München noch eine überschaubare Siedlung an der Isar war. Oder noch früher, als München noch gar nicht existierte. Immerhin sind Feldmoching und Moosach um einige Jahrhunderte älter als die heutige »Weltstadt mit Herz«.

Von Personen über Projekte wie beispielsweise der Rangierbahnhof im Norden Moosachs füllen zahllose Aktenordner die Schränke im Archiv. Das gesammelte Material ist so schwer, dass sich sämtliche Regalböden in den Schränken nach unten durchbiegen. Aber irgendwas wegwerfen, das kommt für Laturell nicht in Frage. Im Gegenteil: Er freut sich nach wie vor, wenn die Menschen aus den beiden Stadtteilen ihm »alten Krempel« bringen. Erst vor wenigen Tagen hat er ein Gruppenfoto bekommen, das nicht näher datiert war. Es ist schwarzweiß, umfasst von einem geschmückten Rahmen aus Pappe, der in einer Ecke beschädigt ist. Wenn man sich nicht auskennt, kann man damit nichts anfangen. Die Gesichter sind einem heute fremd, vielleicht ist ja jemand aus der Familie drauf.

Aber wer könnte das sein? Laturell geht da ganz unbelastet ran. Er schaut sich die Details an. Die Kleidung zum Beispiel. Auf dem Foto ist ganz offensichtlich die Belegschaft einer Fabrik zu sehen. Im Hintergrund ist das Fabrikgebäude gut zu erkennen. Davor stehen Arbeiterinnen. »Das lässt darauf schließen, dass es sich um eine Rüstungsfabrik während eines Krieges handelt, wahrscheinlich zum Ende hin«, liest er aus dem Bild. Als Standort des Gebäudes kann er Moosach identifizieren. So konnte er das Bild, das offensichtlich zur Zeit des Ersten Weltkriegs entstanden ist, auf das Jahr 1917 oder 1918 datieren. Für Laien möglich, aber eben nicht selbstverständlich. Doch mit dieser Geschichte bekommt das Bild eine ganz neue Bedeutung für die Besitzer.

Als Laie sieht sich Laturell auch selbst, aufgrund seiner langjährigen Erfahrung im Gebiet der Heimatkunde als »qualifizierter Laie«. Studiert hat er die Geschichte nie, obwohl es sein Traum war. Auch Germanistik und Theaterwissenschaften hätten ihn interessiert. Stattdessen hat Laturell die Fachhochschule München absolviert und als Diplom-Verwaltungswirt abgeschlossen. Trotzdem hat er in seiner folgenden Berufslaufbahn alle seine Leidenschaften leben können.

Von 1962 bis 1974 war Laturell Leiter der Verwaltungs- und Personalabteilung der Münchner Kammerspiele, des Theaters der Jugend und der Otto-Falckenberg-Schule. Damit war er schon mal am Theater. Von 1969 bis 1973 arbeitete Laturell als Lehrer an der städtischen Schauspielschule, der Otto-Falckenberg-Schule, und als dramaturgischer Berater von Hans-Reinhard Müller. Schon in dieser Zeit hat Laturell seine Freizeit mit dem Verfassen von Büchern verbracht. So erschien 1970 sein Werk »Theater und Jugend in München – Aus 500 Jahren Münchner Theatergeschichte« sowie das Buch »Feldmoching – Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte eines Münchner Stadtteils«. Es sollten noch weitere Veröffentlichungen folgen. Zwischen 1980 und 1988 veröffentlichte Laturell zusammen mit Georg Mooseder die dreiteilige Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte Moosachs, von den Anfängen bis zur Gegenwart ergänzt durch einen Bildband. Schon der erste Teil 1980 hatte unter den Fachleuten Aufsehen erregt und war als vollständige Sammlung gelobt worden, in der keine wichtigen Details ausgelassen worden waren.

Mit dem Verfassen von Büchern zur Theater- und Stadtteilgeschichte konnte Laturell seine drei großen Leidenschaften miteinander verbinden. Beruflich wechselte er 1974 als Mitarbeiter für stadtgeschichtliche Sonderaufgaben ins Stadtentwicklungsreferat, fünf Jahre lang begann Laturells letzte und längste berufliche Station, die Arbeit als Volkskulturpfleger. Obwohl er auf dem Papier eigentlich nicht die erforderlichen Qualifikationen mitbrachte, wollten die Verantwortlichen im Kulturreferat unbedingt Laturell auf diesem Posten haben. Den Nachweis der Qualifikation hatte er mit seinen Publikationen und seiner Arbeit im Stadtentwicklungsreferat mehr als erbracht. 1999 beendete Laturell schließlich seine Berufslaufbahn und ging in den Ruhestand.

Auf seine Herkunft ist der 69-Jährige sichtlich stolz. »Ich bin in der dritten Generation Münchner«, erzählt er, auch wenn er nicht in München zur Welt gekommen ist. Schuld daran waren die Umstände im Deutschland des Jahres 1939. Über einen Umweg im Schwäbischen kam Laturell 1945 nach Feldmoching, wo der Großvater lebte. »In die Wohnung nach Haidhausen konnten wir nicht mehr zurück, die war ausgebombt«, erzählt Laturell, der auch sprachliche Begabung hat. Neben seiner Muttersprache spricht er außerdem Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch und Schwyzerdütsch. Einer langen Zeit in Feldmoching folgte 1994 der Umzug nach Moosach, dem zweiten Zentrum seiner kulturhistorischen Tätigkeit. Er selbst bezeichnet sich heute als Moosacher, ganz einfach »weil ich hier wohne«.

Für Volker D. Laturell war es immer wichtig, für die Menschen gearbeitet zu haben, Menschen zu begegnen, ihnen mit seinem Wissen zu helfen. So hat er mehrere kulturhistorische Vereine initiiert, aber auch zur Gründung von Theatervereinen hat er einiges beitragen können. Auch politisch war der 69-Jährige aktiv, er saß immerhin 24 Jahre für die SPD im Bezirkstag Oberbayern.

»Als ein Teil der Geschichte Moosachs sehe ich mich nicht«, meint Laturell mit Blick auf seinen Arbeit. Aber er pflegt das Gedächtnis des Stadtteils wie bislang kein anderer. Man kann mit gutem Recht sagen: Er ist das Gedächtnis. cr

Artikel vom 13.10.2008
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