Stadt-Menschen: In dieser Serie stellen wir in loser Reihenfolge ungewöhnliche Nachbarn vor: Bei Johanna Sattler dürfen Kinder mit links schreiben

Rinks oder Lechts: Die Seite ist egal

Rechts muss nicht immer richtig sein: Nach vielen Jahrzehnten verfehlter Pädagogik dürfen Kinder inzwischen auch mit links schreiben Grafik: Auer Verl.

Rechts muss nicht immer richtig sein: Nach vielen Jahrzehnten verfehlter Pädagogik dürfen Kinder inzwischen auch mit links schreiben Grafik: Auer Verl.

Zentrum · Die Welt der Linkshänder ist ein bisschen ungerecht: Liegt das Blatt Papier nicht leicht nach rechts gekippt, verwischen die schönen Kringel und Buchstaben in dem Moment, in dem die Hand die Zeile beendet. Hochkonzentriert sitzen sieben Kinder in der Beratungsstelle für Linkshänder an einem Tisch, die Buntstifte fest in der linken Hand. Sie lernen, ihre gemalten Kringel nicht zu verschmieren.

»Wichtig ist, dass die Kinder genau vor dem Dreieck sitzen, das auf der Schreibtischunterlage eingezeichnet ist – sonst stimmt die Körperhaltung nicht«, erklärt Johanna Barbara Sattler, Leiterin der Kindergruppe. Immer wieder erinnert sie die Fünf- bis Sechsjährigen daran, die rechte Hand an den rechten Blattrand zu legen.

»Linkshänder müssen lernen, wie sie Stift und Papier halten sollen, damit sie nicht in die Hakenhaltung verfallen und Haltungsschäden bekommen.« Mit »Hakenhaltung« meint die studierte Psychologin, dass viele Linkshänder die Stifte verkrampft von oben halten und dabei verspannen.

Sattler hat nach ihrem Studium 1986 die Linkshänder-Beratungsstelle in der Sendlinger Straße gegründet. »Mit Händigkeit hatte ich schon während meiner Uni-Zeit zu tun. Damals wurden viele Kinder noch umerzogen, damit sie mit rechts schreiben lernen. Nur sehr fortschrittliche oder antiautoritäre Eltern haben Linkshändigkeit unterstützt«, erzählt sie, die selbst eine »Umgeschulte« ist. Glücklicherweise aber habe sich während der letzten Jahre einiges getan: Es gibt inzwischen Scheren, Bleistiftspitzer, Kartoffelschäler und Füller für Linkshänder.

Trotzdem sind viele Pädagogen immer noch nicht ausreichend sensibilisiert, findet Sattler: »Man muss schon im Kindergarten darauf achten, dass die Kleinen Blatt und Stift richtig halten. Sonst ist es sehr schwer, das wieder umzugewöhnen. Außerdem ahmen viele Kinder ihre rechtshändigen Freunde nach und versuchen, so zu schreiben wie sie.«

Spätestens, wenn linkshändige Kinder anfangen, in der Schule den Füller zu benutzen, sind verschmierte Zeilen an der Tagesordnung. Sattlers Meinung nach ist es ab der zweiten Schulklasse sehr schwierig, den Kindern eine andere Blatthaltung anzugewöhnen.

»Kleinere Kinder lernen besser mit ihrer Linkshändigkeit umzugehen«, weiß sie, die bereits mehrere Fachbücher zum Thema geschrieben und eine spezielle Schreibtischunterlage entwickelt hat. Die Dunkelziffer der Linkshänder ist bis heute hoch. »Ich schätze, dass es mindestens 20 bis 25 Prozent Linkshänder unter den Menschen gibt«, sagt Sattler. Ihr Ziel ist es daher, die Umwelt für deren Bedürfnisse zu interessieren.

Das fängt ihrer Meinung nach bei einer Eintragung im medizinischen Vorsorgeheft für Kinder an, geht über ergonomisch geformte Computermäuse bis hin zu Maschinen, bei denen der Notfallknopf nicht mehr rechts, sondern mittig angebracht ist. Jennifer Bligh

Artikel vom 23.06.2005
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