Die neue Orgel von St. Wolfgang: Ein englisches Klangideal mitten in München

Der englische Patient

»Very amused«: Kirchenmusiker von St. Wolfgang, Stefan Ludwig, freut sich diebisch über die einzigartige Schnäppchenorgel aus dem fernen Leeds (England).	Foto: gf

»Very amused«: Kirchenmusiker von St. Wolfgang, Stefan Ludwig, freut sich diebisch über die einzigartige Schnäppchenorgel aus dem fernen Leeds (England). Foto: gf

Au · Weihnachten war heuer bereits im Juli. Wie bei einem kleinen Kind funkelten da nämlich die Augen Stefan Ludwigs, Kirchenmusiker und Leiter der Singschule St. Wolfgang, in der Balanstraße 22, als er der gerade eingebauten neuen Kirchenorgel die ersten noch mageren Töne entlockte.

Rund ein Jahr dauerte es, das fast 100 Jahre alte englische Instrument zu transportieren, zu restaurieren, einzubauen und zu stimmen. Dafür funkeln seine Augen bei jedem Tastendruck aufs neue, verriet Ludwig dem Publikum bei den Orgelkonzerten St. Wolfgang vergangenes Wochenende. Und dem Zuhörer jagen die warmen, satten Klänge, wuchtigen Bässe und ein in Deutschland einmaliger Tutti-Klang, wohlige Schauer über den Rücken.

Ein langer Weg war’s allerdings für die neue Orgel bis nach München. Erst vergangenes Jahr wurde die alte St. Wolfgang-Orgel in den Ruhestand geschickt. Bereits seit über drei Jahren musste eine elektronische Imitation für Gottesdienste, Unterricht und Konzerte herhalten.

»Kein Vergleich! Und schon gar kein Dauerzustand«, drängte es Ludwig zu einer zügigen Lösung. Doch nicht nur von englischem Klang und hochwertiger Verarbeitung sollte der neue Klangkörper sein. »Ich musste schon auch nach einem möglichst günstigen Instrument schauen.« Die neue Orgel für St. Wolfgang kostete 150 000 Euro – rund die Hälfte dessen, was ein Neubau verschlungen hätte.

Das »Schnäppchen« fand der passionierte Organist schließlich auf der Internetseite eines Wuppertaler Orgelhändlers, der sich auf englische Kirchenorgeln spezialisiert hat. »Dieses Klangideal hat in Deutschland üblicherweise keinen Markt«, erklärt Ludwig. Trotzdem führte der Zufallsfund im Internet dazu, die Orgel aus der »Methodist Church« in Leeds, England, letztlich günstig erstanden zu haben.

Die evangelische Kirche England erwarb die gesamte Kapelle, fand für die Orgel, Baujahr 1906, jedoch keine Verwendung und so wechselte das Instrument schließlich nicht nur den Besitzer, sondern auch die Konfession.

An der Verwirklichung hatten dabei nicht nur der Orgelbauverein St. Wolfgang und die Unterstützung und Spenden der Pfarreimitglieder ihren Anteil. Der Münchner Orgelbauer Johannes Führer bekam den Auftrag, das Monstrum zu restaurieren und zu installieren.

29 verschiedene Register, also fast 30 Klangvariationen, stecken im Inneren der 5,5 Tonnen Kirchenorgel St. Wolfgangs. »Das ganze Instrument ist bis ins kleinste Detail restauriert worden«, schwärmt Ludwig stolz und deutet auf die kleinen Verspieltheiten des riesigen Apparates. So verbirgt sich das 60-Tasten-Manual bei Orgeln französischer Bauweise stets hinter einer Schublade – beim englischen Import-Stück sieht der Musiker die Tasten schon hinter einem Glasfenster hervorlinsen.

Das Instrument wurde erbaut von Albert Keates, Sheffield, und Orgelbauer Führer erweiterte das Original aus Leeds nach weiteren Keates-Installationen und -Plänen um fünf Register. Schließlich galt es auch den »Staub des Jahrhunderts« aus den Winkeln und Pfeifen des Keates’schen Einbaus zu reinigen, obwohl: »Als ich das Instrument in Leeds ausprobierte, sprachen die Tasten auf Anhieb an«, preist Ludwig die einzigartige Qualität.

»Very british« auch der individuelle Klang der neuen Orgel: »Normalerweise sind in Deutschland alle Orgeln nach der französischen Schule erbaut«, weiß der Fachmann. Ein vordergründiger und sehr direkter Klang sei demnach das verbreitete Klangideal der Orgelbauer. Aus England jedoch kämen wärmere Töne: »Die hohe Mischfähigkeit der einzelnen Register-Pfeifen sorgen für warme und zarte Klänge.« Eine Dynamik, die in Deutschland einzigartig sei, versichert Ludwig.

Damit sorgt das neue Instrument nicht nur für stets gute Laune und »eine ganz neue Vorfreude aufs Spielen« bei Ludwig und seinen Schülern. Mit weiteren Orgelkonzerten, intensiveren und tiefgreifenderen Choraufführungen und inzwischen sogar einer eigenen CD, erwartet das pastorale Angebot der Pfarrei eine ehrgeizige Zukunft. Gerald Feind

Artikel vom 23.11.2004
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