»Auf einmal da waren sie weg«: Jüdisches Leben in Bogenhausen vor 1945

Nachbarschafts-Schicksale

»Judenhaus«: In der 1938 zwangsenteigneten Villa, Möhlstraße 30, lebte ab 1939 etwa Elsbeth Engelmann. 1942 wurde sie deportiert und ermordet  	Foto: ms

»Judenhaus«: In der 1938 zwangsenteigneten Villa, Möhlstraße 30, lebte ab 1939 etwa Elsbeth Engelmann. 1942 wurde sie deportiert und ermordet Foto: ms

Bogenhausen · Dachau, Auschwitz, Buchenwald – das sind die Orte, die mit der Judenverfolgung in Verbindung gebracht werden. Dass sich Denunziation, Ausbeutung und Vertreibung aber auch in der eigenen Nachbarschaft abgespielt haben »ist leider nicht vorhanden«, meint der Münchner Künstler Wolfram Kastner, »die Erinnerung wurde exterritorialisiert«.

Kastner möchte diese Schieflage ein Stück weit zurechtrücken. »Auf einmal waren sie weg« heißt sein Projekt, das sich mit der Judenverfolgung in Bogenhausen befasst und an dem er mit einer Reihe von Bogenhauser Bürgern seit einem Jahr arbeitet.

An diesem Donnerstag, 19 Uhr, wird im Kulturforum am Rosenkavalierplatz 16 das Ergebnis präsentiert. Zu sehen sind vergrößerte Passbilder von 42 jüdischen Personen aus Bogenhausen, ihre Biographien sowie die Zeugnisse der Verbrechen, die an ihnen begangen worden sind. Dabei bricht Kastner mit gängigen Darstellungsformen: die Fotos der Bogenhausener Juden sind nicht in Schwarz-Weiß gehalten, sondern wurden nachkoloriert – ihr Leben und nicht ihr Tod soll im Vordergrund stehen. Sie besuchten Bogenhausener Schulen, gingen gewöhnlichen Berufen nach und ließen sich evangelisch oder katholisch taufen.

Dabei geht es nicht nur um die Vergangenheit. Kastner’s Hauptaugenmerk will auch die Folgen der Judenvertreibung auf die Gegenwart zeigen: die kaum wahrgenommenen Auswirkungen, die das Verschwinden der jüdischen Mitbürger mit sich bringt, möchte Kastner sichtbar machen. Er erinnert an verdrängte Details der »Arisierung« – etwa, dass das versteigerte Eigentum der deportierten Juden bis heute in deutschen Haushalten liege oder dass in der Villa der jüdischen Familie Kaufmann nun die umstrittene rechte Burschenschaft »Danubia« residiert.

Heute sei jüdisches Leben in Bogenhausen »nur noch in Ansätzen vorhanden«, erzählt der Künstler. Das deutsch-jüdische Miteinander sei weit entfernt von der Selbstverständlichkeit, die es vor der Nazi-Zeit kennzeichnete. »Umso wichtiger ist es deswegen gegen Vergessen und Ausgrenzung zu sensibilisieren.«

Bis zum 27. Januar des kommenden Jahres, (Mo-Fr, 10 bis 19 Uhr und Mi, 14 bis 19 Uhr; Eintritt frei) wird die Ausstellung, für die Kastner und seine Helfer eineinhalb Jahre die städtischen Archive durchstöbert haben, zu sehen sein. Bei der Eröffnung wird neben dem Künstler auch der Zeitzeuge Peter Jordan sprechen, der als 15-Jähriger aus München nach England geflohen war.

Eine weitere Ausstellung und ein Gespräch mit der Zeitzeugin Marguerite Strasser ist am Mittwoch, 10. November, 17 Uhr, im Max-Josef-Stift, Mühlbauerstraße 15. In der Dreifaltigkeitskirche, Wehrlestraße 8, findet neben einer Ausstellung am Sonntag, 14. November, 10 Uhr, ein Themengottesdienst statt. Am 17. November, 20 Uhr, liest dort Asta Scheib. Streifzüge auf den Spuren durch Bogenhausen zu Wohnstätten verfolgter jüdischer Nachbarn sind am Samstag, 20. November, 14 bis 16 Uhr, und am Sonntag, 28. November, 11 bis 13 Uhr. Treffpunkt ist jeweils die Maria-Theresia-Straße 23.

Artikel vom 02.11.2004
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