Bogenhausener Kaplan vor 60 Jahren als Mitwisser des 20. Juli hingerichtet

»Herren mit Spatzenhirn«

Bogenhausen · Vor genau 60 Jahren, am 14. September 1944, wurde er von der nationalsozialistischen Willkürjustiz zum Tod durch den Strang verurteilt: Hermann Joseph Wehrle, Priester des Erzbistums München und Freising und seit Dezember 1942 Kaplan in der Pfarrei Heilig Blut in der Scheinerstraße 12. Aus diesem Anlass fand dort am Dienstag dieser Woche ein Gottesdienst mit Kardinal Friedrich Wetter statt.

Wehrle, 1899 in Nürnberg geboren und erst nach Promotion und publizistischer Tätigkeit 1941 zum Priester geweiht, wurde in dem vom Präsidenten des sogenannten Volksgerichtshofs, Roland Freisler, unterzeichneten Todesurteil der Mitwisserschaft an der Verschwörung des 20. Juli 1944 bezichtigt und in die »Reihe dieser Verräter« gestellt.

Noch am selben Tag wurde der 45-Jährige Kaplan ins Gefängnis nach Berlin-Plötzensee gebracht und dort ermordet. Im Dezember 1943 hatte im Bogenhausener Pfarrhaus Ludwig Freiherr von Leonrod unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit seinem Beichtvater Kaplan Wehrle ein Seelsorgegespräch geführt.

Der Freiherr, der mit Graf Claus Schenk von Stauffenberg vertraut war, wollte wissen, ob das Wissen um die Vorbereitung eines »Tyrannenmordes« bereits eine Sünde sei. Wehrle verneinte dies unter ausdrücklicher Heranziehung theologischer Literatur. Nach dem Scheitern des Aufstandes gegen Hitler wurde auch Leonrod verhaftet.

Unter den Foltermethoden so genannter »verschärfter Vernehmung« der Gestapo gab er den Inhalt des Seelsorgegespräches preis. Allerdings hoffte er, dass sein Beichtvater durch das Reichskonkordat von 1933 geschützt sei, das nicht nur die sakramentale Beichte, sondern auch vertrauliche Auskünfte bei der Ausübung der Seelsorge unter die Verschwiegenheitspflicht stellte. Die Nazis hielten sich nicht daran.

Über das Schicksal ihres Pfarrers war die Gemeinde von Heilg Blut im Bilde: »großes Entsetzen« herrschte darüber, wie sich der Bogenhausener Konrad Kruis, heute 74, erinnert. »Allerdings wurde vermutet, dass Wehrle wegen seiner Predigten verhaftet worden war.« Denn in denen habe er eindeutig Stellung bezogen und keinen Zweifel gelassen an seiner Ablehnung gegenüber dem Nazi-Regime. Mit seinen unmissverständlichen Worten bei den Sonntagsmessen habe der mutige Kaplan vielen aus dem Herzen gesprochen, die insgeheim nicht einverstanden waren mit der Kirchen- und Judenfeindlichkeit des Nazi-Regimes, meint Kruis, auch wenn die wenigsten Menschen weder strikt gegen Hitler, noch total dafür gewesen seien.

Im Gedächtnis geblieben ist dem damals 14-jährigen Kruis etwa, wie Wehrle einmal den NS-Rassenwahn angeprangert und über Mitglieder der SS von den »Herren mit den Spatzenhirnen« gesprochen hatte. Bereits 1933 musste er seine journalistische Arbeit beenden, weil er sich weigerte, der »Reichsschrifttumskammer« beizutreten.

Seiner Überzeugung ist Wehrle auch im Angesicht des Todes treu geblieben. Bei der »sicherheitspolizeilichen Vernehmung« 1944 hatte er auf die Frage, ob er Hitler als einen sehe, der seine Macht zum Schaden des Volkes ausnutze, geantwortet: Wenn Hitler auch Gutes geschaffen habe, seien »auf dem Gebiet des Geistigen und Geistlichen« Dinge passiert, die Freiheit und Recht zuwiderliefen. »In dieser Hinsicht muss ich sagen, dass der Begriff des Tyrannen, wie ihn die Antike versteht und wie auch ich ihn verstehe, auf den Führer zutrifft.« Michaela Schmid

Artikel vom 15.09.2004
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