Bezirksausschüsse und Bürger lesen die Namen der ermordeten Münchner Juden

Lesen gegen das Vergessen

Lesung im Hof der Briennerstraße 50 – ehemals Ort des Gestapo-Gefängnisses (l.), heute Sitz der Landesbank 	Foto: Vögele

Lesung im Hof der Briennerstraße 50 – ehemals Ort des Gestapo-Gefängnisses (l.), heute Sitz der Landesbank Foto: Vögele

Zentrum · Deportiert, ermordet, in den Selbstmord getrieben – mit dem 9. November 1938 begann das tödliche Schicksal der jüdischen Bürger in München.

An diesem Tag hetzte NS-Propagandaminister Goebbels vom Saal des Alten Münchner Rathauses zur Reichskristallnacht. Der Pogrom war der Auftakt zur planmäßigen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und mit ihrem Verschwinden begann auch das Vertuschen und Vergessen der Einzelschicksale.

»Jeder Mensch hat einen Namen«. Mit diesem Leitsatz erinnerten am vergangenen Sonntag, genau 65 Jahre nach der Reichskristallnacht, die Bezirkausschüsse Innenstadt, Altstadt-Lehel und Maxvorstadt an die Münchner Opfer des Holocaust. »Gegen das Vergessen« verlasen sie die Namen der jüdischen Mitbürger, die zwischen 1941 und 1945 verhaftet und deportiert wurden und dadurch den Tod fanden. 3666 Münchner Juden wurden verschleppt und ermordeten, Menschen aus der Mitte unserer Stadt, jeder mit einem Namen und einer eigenen Geschichte.

Gedacht wurde den Opfern nicht wie in den vergangenen Jahren am Synagogenstein in der Herzog-Max-Straße, sondern an mehreren Plätzen in der Stadt – Symbole für den Terror. Etwa in der Innenstadt, am St. Anna Platz 2, dem ehemaligen Wohnort des Schriftstellers Lion Feuchtwanger, und an der Brienner Straße 50, im Innenhof der Bayrischen Landesbank.

Auf diesem Areal stand früher das Wittelsbacher Palais, von 1933 bis 1945 Sitz der Gestapo und Gefängnis für politische Gefangene. Hier erstellte die Gestapo 1941 die Listen mit den Namen der Münchner Juden und plante deren Deportationen. Am 20. November 1941 wurden die ersten 1000 Frauen, Kinder und Männer nach Kanaus in Litauen verschleppt und dort ermordet.

Die Münchner Bürger, die um acht Uhr morgens gekommen waren, um an den Lesungen teilzunehmen, trugen diese Erschütterung merklich in ihren Mienen. Mancher Leser musste sich um Fassung bemühen, um ein Versagen der Stimme zu unterdrücken. Allzu erschreckend wirkte die Fülle der Opfer und mit jedem Namen schien die unbegreifliche Katastrophe der Vergangenheit deutlicher zu werden.

Im Anschluss an die Lesungen der Namen, wurden die gelesenen Listen symbolisch bei der Grundsteinlegung des neuen Jüdischen Gemeindezentrums am St. Jakobsplatz mit in den Grundstein eingemauert. Robert Huber

Artikel vom 13.11.2003
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