Einwohnerversammlung zu umstrittener Unterkunft für Wohnungslose

»Saalschlacht« in der Turnhalle

Die Moosacher lehnten die Errichtung einer Wohnungslosenunterkunft in der Brieger Straße ab. Sozialreferent Graffe allein auf weiter Flur.	Foto: rme

Die Moosacher lehnten die Errichtung einer Wohnungslosenunterkunft in der Brieger Straße ab. Sozialreferent Graffe allein auf weiter Flur. Foto: rme

Moosach · Ganz Moosach war auf den Beinen, so schien es: Wie die Sardinen in der Büchse drängten sich die Menschen in der Turnhalle der Grundschule an der Manzostraße.

In weiser Voraussicht hatte man sogar im Pausenhof Lautsprecher aufgestellt, an denen ebenfalls Menschentrauben klebten, um nur ja kein Wort zu verpassen von dem, was sich in der Halle abspielte.

Dort brodelte es bereits heftig, als Johanna Salzhuber, die Vorsitzende des Bezirksausschusses Moosach (BA 10), die Einwohnerversammlung eröffnete.

Einziger Tagesordnungspunkt: die geplante Errichtung eines Obdachlosenheims in der Brieger Straße. Wie berichtet, hatte dieses Thema bereits in der letzten BA-Sitzung hohe Wellen geschlagen, nun jedoch kam das Fass zum Überlaufen. »Ich weiß, dass das hier kein Heimspiel für mich wird«, so der schicksalsergebene Kommentar von Sozialreferent Friedrich Graffe zu Beginn der Versammlung.

Dann machte er sich daran, den Bürgerinnen und Bürgern Rede und Antwort zu stehen: Warum soll gerade bei uns, in einem reinen Wohngebiet, in dem es ohnehin bereits soziale Spannungen gibt, eine Unterkunft für Wohnungslose errichtet werden? Warum wurden nicht auch andere Standorte geprüft? – Das waren die häufigsten Fragen, die in Form von Anträgen an den Sozialreferenten gerichtet wurden.

Mit seinen Antworten konnte Graffe die aufgebrachte Menge allerdings kaum beschwichtigen: 160 weitere Standorte seien geprüft worden, aber aus den unterschiedlichsten Gründen alle wieder ausgeschieden. Außerdem sei die Brieger Straße laut Flächennutzungsplan gar kein »reines Wohngebiet«, sondern ein »Außenbereich«, erklärte Graffe unter lautem Protestgeheul der Anwesenden. Höhnisches Gelächter erntete auch seine Bemerkung: »In den Unterkünften, die wir führen, gibt es keine sozialen Unverträglichkeiten.« Auch wenn niemand den ultimativen Gegenbeweis erbringen konnte, waren die Moosacher doch überzeugt, dass die Realität ganz anders aussieht: Alkoholismus, Drogen, Diebstahl und psychische Erkrankungen seien bei den Bewohnern derartiger Unterkünfte an der Tagesordnung, so die vorherrschende Meinung im Saal.

Da half es auch nichts, dass der Sozialreferent auf die intensive sozialpädagogische Betreuung in diesen Heimen hinwies.

Diese Betreuung werde aus finanziellen Gründen ohnehin immer weiter zurückgefahren, konterten die Bürger und blieben dabei, als Sozialreferent Friedrich Graffe an den soeben verabschiedeten Haushalt erinnerte, der keine derartigen Kürzungen vorsehe.

Blieb da noch die Frage: »Warum immer ausgerechnet bei uns in Moosach?«, die Graffe mit der Statistik beantwortete: Der 10. Stadtbezirk habe nur rund 73 Prozent seines aus Einwohnerzahl und Fläche errechneten »Solls« an Wohnungslosen-Einrichtungen abgedeckt. »Außerdem gibt es keinen Alternativ-Standort!« Zwischen dem Sozialreferenten und den versammelten Einwohnern entwickelte sich im Laufe des Abends eine regelrechte »Saalschlacht« mit Worten.

In diese musste die BA-Chefin Frau Johanna Salzhuber mehrfach regulierend eingreifen. Niemand aus dem Publikum äußerte dabei jedoch Verständnis für die Situation der Wohnungslosen oder des Sozialreferats, welches gesetzlich zur Unterbringung dieser Menschen verpflichtet ist. Doch ob Bürgerprotest hin oder her: »Wenn der Zustrom von Wohnungslosen im Flüchtlingsamt in den nächsten drei Monaten gleich bleibt oder zunimmt, muss ich bauen«, stellte Sozialreferent Friedrich Graffe unmissverständlich klar. Sollte die Zahl hingegen zurückgehen, wird das Sozialreferat wohl vorerst von einer neuen Unterkunft absehen.

Somit hätten die Moosacher zumindest etwas Zeit gewonnen. Frühestens im September wird dazu eine Entscheidung im Stadtrat fallen. rme

Artikel vom 10.04.2003
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