Weihnachtsgedanken von Pfarrer Bernhard Götz

Weihnachten virtuell?

Bernhard Götz aus der Olympiakirche: "Für uns ist es eine weite Reise." Foto: dm

Bernhard Götz aus der Olympiakirche: "Für uns ist es eine weite Reise." Foto: dm

Olympiapark/Moosach · Was wir im Augenblick erleben, haben nicht mal die ganz Alten unter uns erlebt. Worte wie Infektionsschutzgesetz, Allgemeinverfügung, Ausgangssperre oder harter Lockdown sind gerade Alltag. Der Katastrophenfall ist schon länger ausgerufen. Und jetzt ist sicher: Weihnachten verbringen wir im harten Lockdown.

Katastrophenfall Weihnachten. Sicher erinnern wir uns an manche Katastrophe an Weihnachten. Diese kleinen Katastrophen, weil die angebrannte Gans im Herd Weihnachten ungenießbar machte, die persönlichen Katastrophen, weil ein Schicksalsschlag jedes Licht am Christbaum zum Irrlicht machte, oder auch große Katastrophen, wie der Tsunami in Südostasien 2004, der so viele Menschen auch in Deutschland zu Betroffenen machte.

Aber jetzt fällt Weihnachten irgendwie aus. Jedenfalls so, wie wir es kennen. In Verantwortung gibt es in vielen Kirchengemeinden keine Präsenz-Gottesdienste. Weihnachten virtuell? So ganz klar ist noch nicht, wie wir ein solches Weihnachten hinbekommen. Aber wir spüren, dass was Entscheidendes fehlen wird, aufs ganze Jahr gesehen. In solcher Unsicherheit geht der Blick zurück in die Vergangenheit. Vielleicht in die Kindheit, ins elterliche Weihnachtszimmer. Wo das Glöckchen bimmelte, bevor es hinein ging. Weihnachtliche Spannung: Erfüllen sich die Wünsche?

Ist es das, was fehlt? Das immer Gleiche, alle Jahre wieder. Oder sind es die Menschen, die fehlen, weil sie im Weihnachtszimmer einfach dazu gehören? Auch, wenn es manchmal stressig ist. Weil die Geschenke nicht passen. Oder das Essen. Oder, weil wieder einer zu spät kommt oder zu früh geht. Oder sind es einfach die großen Gefühle, der Lichterglanz, die Hoffnung auf Frieden, dass wir sie wenigstens einmal im Jahr fühlen müssen?

Vielleicht ist es doch diese alte Geschichte, die seit zweitausend Jahren alle Jahre wieder erzählt wird. Die Geschichte vom kleinen Kind in der Krippe, das die Welt verändern wird. Vielleicht ist es genau das, was wir am Heiligen Abend hören wollen. Kann sein, dass der eine nur neugierig ist, weil die Geschichte sich solange schon hält. Eine andere, weil sie der Engel beeindruckt hat mit seinem „Fürchte Dich nicht“. Und wieder andere, weil sie hoffen, dass alles anders wird.

So war es bei den Hirten auch. Sie haben sicher nicht die gleichen Beweggründe gehabt. Es waren Menschen am Rand, ohne großes Ansehen. Arme Menschen. Und diese Hirten, sie werden Zeugen von dem, was in Bethlehem geschehen ist. Sie sind aufgebrochen und kamen eilend, so steht es in der Weihnachtsgeschichte.

Weihnachten, das ist plötzlich und überraschend, unerwartet und widersprüchlich. Auch in diesem Jahr. Irgendwann am Heiligen Abend ist Szenenwechsel. Ende der Alltäglichkeit. Der geschmückte Baum, das Funkeln im Weihnachtszimmer, Ruhe zum Besinnen. Die Hirten hatten sich in Bewegung gesetzt. Und sie kamen eilend. Ich vermute, dass wir mit den Hirten nicht Schritt halten können. Die Hirten mussten nicht Koffer packen, sie sind losgezogen, wie sie waren.

Für uns ist es eine weite Reise. Und wir ächzen unter dem vielen Gepäck. Eilend stellt sich Weihnachten längst nicht mehr ein. Weil das Zutrauen klein wurde, zu den Gestalten dieser Geschichte zu gehören: Zu den Hirten, den Königen, den Engeln. Eben, weil wir so viel zu tragen, aber so wenig zu bringen haben.

"Ich bin mit dir gewesen, wo du hingegangen bist!", heißt es im Alten Testament. Oft ist diese Stelle mit Weihnachten in Verbindung gebracht worden. Ich weiß nicht, ob jede*r von uns das so nachsprechen kann. Es ist oft anders gewesen: Ich habe nicht gespürt, dass Gott mit mir geht. Ich habe Ausschau gehalten nach ihm und meist übersehen, dass er neben mir stand. Und manchmal wollte ich gar nicht, dass er meinen Weg begleitet.

Diesmal an Weihnachten wird es anders und wir wissen alle noch nicht so genau, wie das geht. Trotzdem, lasst uns nach Bethlehem gehen und die Geschichte sehen. Auch, wenn wir länger brauchen als die Hirten.

Bernhard Götz
Evang.-Luth. Kirchengemeinde München Heilig-Geist

Artikel vom 25.12.2020
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