Die Wirtschaft braucht Sie

Bayern · Schwierige Zeiten für Handel & Gewerbe

Erika Kaserer vom Vorstand des Grünwalder Gewerbeverbandes hält für ihre Kunden die Stellung. Noch ist das Einkaufsverhalten der Kunden zögerlich. Foto: hw

Erika Kaserer vom Vorstand des Grünwalder Gewerbeverbandes hält für ihre Kunden die Stellung. Noch ist das Einkaufsverhalten der Kunden zögerlich. Foto: hw

Bayern/München · „Die Corona-Krise und der Shutdown haben der Wirtschaft quer durch fast alle Branchen massiv zugesetzt. Die Rückkehr zur Normalität wird ein langer und steiniger Weg.

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Ein wirtschaftspolitisches Gesamtpaket aus Entlastungen für die Betriebe und Rückenwind für Investitionen für einen zügigen Neustart ist daher dringend notwendig“, sagt BIHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl bei einer ersten Bilanz am vergangenen Mittwoch bei einer Pressekonferenz. „Es gibt aber auch Silberstreifen am Horizont: Jedes fünfte Unternehmen ist selbst am jetzigen Tiefpunkt mit seiner Geschäftslage zufrieden, mehr als jedes Dritte nennt die aktuelle Situation befriedigend. Zudem sind die Betriebe optimistischer als in der Finanzkrise. Mehr als die Hälfte der Betriebe erwartet in den kommenden zwölf Monaten gleichbleibende oder bessere Geschäfte“, so Gößl. „Sofern die Corona-Lockerungen zügig voranschreiten, eine zweite Infektionswelle ausbleibt und die Wirtschaft von der Politik jetzt ausreichend Rückenwind bekommt, dürfte der absolute Tiefpunkt der Krise bereits hinter uns liegen“, sagt der BIHK-Chef weiter. Aber nicht für alle sieht es gleich rosig aus. Mit Liquiditätsengpässen in den kommenden Monaten rechnet aktuell rund ein Fünftel der Unternehmen. Eine Insolvenz befürchten immerhin 6 Prozent der Befragten. Die negativen Rückmeldungen stammen vermehrt aus den Branchen mit verzögerter Öffnungsperspektive wie Gastronomie, Tourismus, Einzelhandel sowie Messe- und Veranstaltungswirtschaft.

"Wie die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage aussieht, hängt stark von der Branche ab", erklärt hierzu Erika Kaserer, Mitglied im Vorstand des Gewerbeverbandes Grünwald. Sie führt gemeinsam mit ihrem Mann Bernd und weiteren Angestellten das Lederwarenfachgeschäft ihres Vaters weiter, der das Unternehmen in den 50er Jahren gegründet hat. Lederwaren Zacherl bietet neben hochwertigen Handtaschen und Gürteln vor allem Reisegepäck von Samsonite an. "Derzeit liegt die Nachfrage nach Reisegepäck praktisch bei Null", fasst Erika Kaserer die wirtschaftliche Lage pragmatisch zusammen. Die Kauflaune der Kunden sei verhalten, die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Situation zu uneinsehbar um nach dem Shutdown sorglos und munter einzukaufen. Dennoch gibt es auch positive Aspekte in der Krise. "Die Mitglieder des Gewerbeverbandes sind enger zusammengerückt. Wir haben in der Zeit der Schließung eine Internet-Plattform entwickelt, in der die einzelnen Gewerbetreibenden ihre Angebote und die Möglichkeit zum Bestellen darstellen konnten. Viele Stammkunden haben diese Möglichkeit auch genutzt und beispielsweise Gutscheine gekauft", erklärt die erfahrene Grünwalder Geschäftsfrau.

Begeistert ist die Grünwalderin Erika Kaserer nicht nur von der Unterstützung vieler Stammkunden, sondern auch vom Engagement der Gemeinde Grünwald. Diese habe die Gewerbetreibenden unterstützt, wo sie nur kann. Es bleibt aber dennoch schwierig, denn aufgrund von flächendeckender Kurzarbeit sitzt das Geld in den Taschen der Kunden nicht mehr so locker wie früher. "Wer jetzt bestehen will, braucht einen langen Atem und einen besonderen Service sowie Kunden, die lieber vor Ort einkaufen, als online zu bestellen", ist sich Erika Kaserer sicher. Viele Geschäfte im Gewerbeverband würden "Luxusartikel" im weitesten Sinn anbieten, eine neue Handtasche sei zwar schön und bringe Freude, essentiell notwendig sei sie jedoch meistens nicht. So gehe es vielen Anbietern, die die Ware für die Frühjahr/Sommersaison bereits Ende letzten Jahres bestellt und meistens auch schon bezahlt hätten. Die braucht jetzt Käufer. Nicht vergessen werden sollte auch, dass die heimischen Gewerbetreibenden auch wichtige Arbeitgeber sind. Zahlreiche Menschen sind hier beschäftigt, können wohnortnah arbeiten und so ihren Lebensunterhalt verdienen. Solange zumindest, wie auch die Einnahmen stimmen.

Auch die AG Moosach (Arbeitsgemeinschaft Unternehmer für Moosach) ist laut Vorstandsmitglied, Dr. Ulrich Sandhövel enger zusammengerückt. "Von einem Tag auf den anderen ist für die meisten unserer Mitglieder die Einnahmesitution eingebrochen, bei manchen bis auf Null", fast Dr. Sandhövel die wirtschaftliche Misere zusammen. Die staatlichen Hilfen waren für viele der Kleinunternehmer ungeeignet, da sie nur betriebliche Ausgaben berücksichtigen, nicht aber zur Deckung privater Kosten genutzt werden konnten. Auch die AG Moosach hat ihren Online-Auftritt optimiert (www.agmoosach.de), die Nutzer stets darüber auf dem Laufenden gehalten, wie sie welchen Service nutzen können. Seit der Eröffnung der Geschäfte und Lokale arbeiten die Unternehmer und Selbstständigen ständig daran, ihr Angebot zu optimieren, natürlich unter Einbeziehung aller erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen. "Sicher ist, dass Sie bei den Mitglieder der AG Moosach eine perfekte Beratung und einen ebensolchen Service finden, genauso sicher ist der Einkauf oder die Beratung aber auch aus medizinischer Sicht, denn wir halten alle erforderlichen Maßgaben strikt ein", betont Ulrich Sandhövel. Was die Wirtschaft jetzt braucht, so Sandhövel sind Kunden, die einkaufen, essen gehen oder aber zum Friseur, um einige Beispiele zu nennen. "Wir schauen aber mit Zuversicht in die Zukunft", betont Dr. Ulrich Sandhövel. „Das größte Problem für die Wirtschaft ist derzeit die enorme Unsicherheit über die weitere Geschäftsentwicklung“, sagt auch BIHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl. Fast zwei Drittel der Befragten berichten über Schwierigkeiten, an neue Aufträge zu kommen. Bestehende Aufträge würden in vielen Fällen storniert. Als Folge der unsicheren Aussichten halten sich die Unternehmen mit Investitionen äußerst stark zurück: 30 Prozent der Betriebe investieren in den kommenden zwölf Monaten gar nicht – dies ist der weitaus höchste Wert seit Beginn der Befragung. Die Mehrheit der Unternehmen hat zudem schnell mit Personalmaßnahmen auf die Corona-Krise reagiert. Dabei stehen Kurzarbeit, Arbeitszeitkonten und natürliche Fluktuation an erster Stelle. Betriebsbedingte Kündigungen gibt es aktuell nur bei acht Prozent der Unternehmen. Mittelfristig will jedes dritte Unternehmen seine Belegschaft reduzieren; jedes zwanzigste Unternehmen will Personal aufbauen.

„Angesichts dieser gravierenden Krisen-Auswirkungen sind jetzt für den Neustart dringend geboten: erstens die Öffnungsperspektiven für alle Branchen, zweitens Entlastungen für die Betriebe, um Investitionen zu ermöglichen und ihre Eigenkapitalbasis zu stärken, sowie drittens von staatlicher Seite ein Befreiungsschlag bei der Bürokratie und mehr Zukunftsinvestitionen in Infrastruktur und Digitalisierung“, so BIHK-Chef Gößl. Vor allem aber braucht es mutige Kunden, die, sofern sie es sich leisten können, sich vielleicht auch mal eine Extra-Handtasche, eine neue Bluse, Schuhe oder schönes Geschirr kaufen und so das Überleben des Einzelhandels vor Ort sichern. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Vielfalt in ihren Gemeinden und Städten. Außerdem hat es auch nie mehr Spaß gemacht, ein engagierter Bürger zu sein. Auf die Frage, warst du shoppen kann man jetzt sagen: "Nein Liebling, nur eben mal die Welt retten." ghw/IHK

Artikel vom 29.05.2020
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