Giesings offene Wunde

Abriss des denkmalgeschützten Uhrmacherhäusls jährt sich zum ersten Mal

Zum ersten Jahrestag des Skandals gibt es mehrere Aktionen. Bild klein: Die Baulücke an der Oberen Grasstraße 1: Wann das Uhrmacherhäusl wieder aufgebaut wird, ist unklar. Fotos: Rufus46/CC BY-SA 3.0, bs

Zum ersten Jahrestag des Skandals gibt es mehrere Aktionen. Bild klein: Die Baulücke an der Oberen Grasstraße 1: Wann das Uhrmacherhäusl wieder aufgebaut wird, ist unklar. Fotos: Rufus46/CC BY-SA 3.0, bs

Giesing · Es war eine Nacht- und Nebelaktion, die nicht nur in München für Entsetzen sorgte: Am 1. Septenber 2017 rollte ein Bagger an, um das denkmalgeschützte Uhrmacherhäusl in Obergiesing dem Erdboden gleichzumachen.

Denkmalgeschützt: Handwerkerhäuschen, Obere Grasstraße 1
Giesing · Handwerkerhäuschen abgerissen
Themenseite: Politiker sind entsetzt und fordern Konsequenzen

Ein Jahr ist das nun her – doch der Spruch »Die Zeit heilt alle Wunden« trifft hier nicht zu: Während im geschützten Ensemble Feldmüllersiedlung weiter eine offene Wunde klafft, ist noch völlig unklar, wann und in welcher Form das Haus wieder aufgebaut wird.

»Wir bleiben dran, damit sich die Stadt und die Politik nicht einfach aus ihrer Verantwortung und von ihren Versprechen lösen können«, betont Angelika Luible von »Heimat Giesing«. Das Bündnis aus engagierten Bürgern gründete sich nach dem Abriss. »Dran bleiben« – das heißt für »Heimat Giesing«: regelmäßige Mahnwachen organisieren.

Immer am zweiten Freitag im Monat, selbst im eisigen Winter, kamen in den vergangenen zwölf Monaten Menschen aus Giesing und anderen Stadtteilen vor der Baulücke in der Oberen Grasstraße 1 zusammen, um ein Zeichen zu setzen. Mit wechselndem Programm, Aktionen und Führungen will »HeimatGiesing« die Wertigkeit von Denkmälern vermitteln. Die »Schande von Giesing«, wie manche den Abriss den Uhrmacherhäusls nennen, sollte nicht still und leise ausgesessen und unter den Tisch gekehrt werden, bekräftigt Angelika Luible.

Abrissgeräusche, Lied und Theaterstück

Da versteht es sich von selbst, dass auch zum ersten Jahrestag des Skandals eine umfangreiche Protestaktion geplant ist. Am Samstag, 1. September, ab 16 Uhr, erklingen zunächst Abrissgeräusche, um den Zuhörern das Ende des Uhrmacherhäusls plastisch zu machen. Auf dem Programm steht ein Theaterstück nach Drehbuch von Klaus Bichlmeier, das mit dem skandalösen Abbruch beginnt und sich bis zur Verurteilung des Immobilienbesitzers zieht. Evi Keglmaier und Alex Haas von der Band »Die Hochzeitskapelle« werden zudem das Lied »Skandal in Giesing« zum Besten geben. Vorträge zu den Themen Denkmalschutz und Stadtbildentwicklung runden die Protestaktion ab.

Die Feldmüllersiedlung östlich der Kirche Heilig Kreuz stammt aus den Jahren 1830 bis 1860. Benannt ist sie nach Therese Feldmüller, die ihren Grund an Handwerker, Tagelöhner und Kleingewerbetreibende verkaufte. So entstanden in Giesing, das bis 1854 eine eigene Gemeinde war, viele einstöckige Häuser dicht nebeneinander – was damals ungewöhnlich war und einen deutlichen Kontrast zu den Höfen im alten Ortskern darstellte. Heute genießt die Feldmüllersiedlung einen besonderen Schutzstatus als Ensemble. Einzelne Gebäude sind zudem denkmalgeschützt.

Weil auch das Uhrmacherhäusl als Baudenkmal ausgewiesen war, war der Aufschrei nach dem Abriss besonders groß. Am 31. August hatten Anwohner den Bagger noch ausbremsen können, ein Tag später war das Haus dann Geschichte. Der Bauherr hatte die Erlaubnis zur Sanierung, ein Abriss war jedoch ausdrücklich untersagt worden.

Denkmalschutzbehörde fordert Wiederaufbau

Während betroffene Bürger Blumen und Kerzen niederlegten, forderten Politiker, darunter auch Oberbürgermeister Dieter Reiter, umgehend den Wiederaufbau des Hauses sowie Konsequenzen für das dreiste Vorgehen der Baufirma. Die Untere Denkmalschutzbehörde hat im April 2018 eine Verfügung zur Wiederherstellung des Gebäudes erlassen. Danach sei das beseitigte Einzeldenkmal als Teil des »Ensembles Feldmüllersiedlung« unter »Berücksichtigung der bisherigen Form sowie unter Erhalt der vorhandenen Giebelwände und der Keller innerhalb von zwei Jahren nach Erteilung der erforderlichen Baugenehmigung wiederherzustellen«, erklärt Thorsten Vogel, Sprecher des Referats für Stadtplanung und Bauordnung. Hierbei seien auch die bei der Räumung des Grundstücks gesicherten historischen Materialien zu verwenden.

Der Hausbesitzer hat gegen diesen Bescheid allerdings eine Klage beim Verwaltungsgericht München eingereicht. »Das weitere Verfahren bleibt somit abzuwarten«, erläutert Vogel. Offen ist zudem, inwiefern der Eigentümer und auch der Baggerfahrer für den Abriss belangt werden können. Hierzu läuft derzeit ein Bußgeldverfahren bei der Staatsanwaltschaft München I. Die Ermittler müssen klären, ob das Uhrmacherhäusl vorsätzlich zerstört worden ist. Die hierfür verantwortliche Baufirma existiert nicht mehr.

»Es darf nicht sein, dass diese kriminelle Zerstörung von historischem Baubestand auch noch Gewinn nach sich zieht«, sagt Angelika Luible. »Wir erwarten die maximale Ahndung des begangenen kulturhistorischen und baurechtlichen Vergehens.« Damit Baudenkmäler wirksam geschützt und Vergehen schärfer geahndet werden können, sollten dazu die derzeitigen Instrumentarien geprüft und weiterentwickelt werden, betont Luible. Die Mahnwachen sollen dafür sorgen, dass das Thema auch weiterhin aktuell bleibt. Schließlich geht es hier nicht nur um ein abgerissenes Haus. Es geht um ein Stück Giesing. Benjamin Schuldt

Artikel vom 28.08.2018
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