Sind wir noch sicher?

Doris Rauscher (SPD) im Interview mit dem Kurier Ebersberg

Doris Rauscher fordert von Innenminister Herrmann die Schaffung weiterer Polizeistellen.	Foto: Abgeordnetenbüro

Doris Rauscher fordert von Innenminister Herrmann die Schaffung weiterer Polizeistellen. Foto: Abgeordnetenbüro

Ebersberg · Schon Monate vor der Verschärfung der Sicherheitslage in Bayern hat die Landtagsabgeordnete Doris Rauscher (SPD) sich für eine personelle Verstärkung der Polizeikräfte im Landkreis Ebersberg eingesetzt.

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In den Polizeiinspektionen Poing und Ebersberg machte Sie sich vor Ort ein Bild von den Zuständen im Landkreis. Wir haben mit der Abgeordneten über die Personalsituation bei der Polizei und über die Sicherheitslage im Landkreis Ebersberg gesprochen.

Kurier Ebersberg: Seit dem Vorfall am Bahnhof Grafing und den Überfall auf den Döner-Imbiss in Ebersberg kam schnell Kritik an der Polizei auf. Sind die Polizeibeamten im Landkreis bereits an Ihrer »Belastungsgrenze« angelangt?

Doris Rauscher: Grundsätzlich gilt für mich: In solchen Situationen sollte man sich mit Vorverurteilungen und Spekulationen zurückhalten und zunächst die genauen Hintergründe erfragen. Gleichzeitig muss man aber grundsätzlich auch sehen: Wenn die Beamten einer Polizeiinspektion permanent ausgleichen müssen, dass 25 Prozent der Stellen nicht besetzt sind, also ein Viertel der an sich notwendigen Kollegen fehlen, kann in meinen Augen auf lange Sicht nur eine Überlastung des Teams, oder ggf. eine unzureichende Aufgabenerfüllung daraus resultieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass der eine oder andere Ebersberger Beamte seine persönliche Belastungsgrenze erreicht, wenn nicht gar schon überschritten hat.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Personalsituation bei der Polizei der Polizeiinspektion in Ebersberg und Poing?

Rauscher: Da sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. Im Dienstbereich der Polizeiinspektion Poing tun 53 Beamte Dienst, die Sollstärke beträgt 65. Das entspricht einer Personaldeckungsquote von 81 Prozent. Der Dienststellenleiter Helmut Hintereder hat mir gegenüber glaubhaft versichert, dass seine Personallage zwar sehr eng gestrickt sei, er aber mit der Situation noch auskäme.

Sehr viel dramatischer gestaltet sich die Lage in Ebersberg. Dort sind bei einem Soll von 52 Beamten nur 39 Beamte tatsächlich verfügbar. Das bedeutet, es arbeiten dort mehr als ein Viertel zu wenig. Mit einer Personaldeckungsquote von unter 75 Prozent kann man in meinen Augen nicht mehr vernünftig arbeiten, ohne dass die einzelnen Beamten über ihre Grenzen gehen müssen. Der Ebersberger Schnitt von 62 Überstunden pro Beamter macht die Überlastung offensichtlich. Bayernweit liegt der Überstundenschnitt bei 25 Stunden pro Beamter.

Was sind ihre konkreten Forderungen an den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU)?

Rauscher: In einer schriftlichen Anfrage habe ich Herrn Minister Herrmann darum gebeten, die Polizeidienststelle Ebersberg ab September 2016 mit mindestens einer weiteren Vollzeitstelle auszustatten.

Die Deliktzahlen sind im Kreis Ebersberg im deutschland- und bayernweiten Vergleich ja recht gering. Wieso werden aus Ihrer Sicht trotzdem weitere Beamte benötigt?

Rauscher: Dass die Sicherheit vor Ort noch gewährleistet ist und sowohl die Kriminalitätsstatistik als auch die Verbrechensaufklärung beruhigende Zahlen aufweisen, ist einzig und allein der Verdienst der hier tätigen Beamten. In Ebersberg arbeiten mit einem Durchschnittsalter von 29 Jahren sehr junge Menschen in der Schicht, die sehr belastbar und motiviert sind. Diese Umstände dürfen jedoch nicht ausgenutzt werden! Wir stehen in der Verantwortung, für unsere Beamten einen Arbeitsalltag zu schaffen, der ihre Kräfte nicht über Gebühr beansprucht und die gute Sicherheitslage weiterhin aufrecht erhält. Sonst sind die jungen Beamten nach einigen Jahren »verheizt«, wie man so schön sagt. Außerdem wurde mir bei meinem Besuch in Ebersberg bestätigt, dass bei einer so engen Personaldecke einige Tätigkeiten schlichtweg hinten runter fallen müssen, wie etwa in den Siedlungsstraßen Streife zu fahren.

Nach dem Amok-Lauf in München und den Anschlägen in Ansbach und in Würzburg fühlen sich viele Menschen in Bayern verunsichert. Sind wir im Freistaat noch sicher?

Rauscher: In der vergangenen Woche haben sich die Vorfälle dramatisch gehäuft. Das löst bei den Menschen natürlich etwas aus. Ich möchte bei Ihrer Frage von mir ausgehen – ich fühle mich dennoch grundsätzlich sicher. Ob wir wirklich sicher sind? Ich denke es wäre vermessen, hierauf eine verbindliche Antwort zu geben. Ich weiß nur, dass ich persönlich nicht in Angst leben möchte. Mein Gefühl von Freiheit und Sicherheit möchte ich mir nicht nehmen lassen. Und grundsätzlich fühle ich mich in unserem Freistaat ausreichend sicher. Man muss bei der derzeitigen Debatte auch sehen, dass die Vorfälle offensichtlich unterschiedliche Hintergründe hatten. Dennoch ist natürlich jedes einzelne Opfer ein Opfer zu viel.

Bei der Frage darf man zudem nicht unterschätzen, dass es eine reale und eine gefühlte Sicherheit gibt. Deswegen bin ich auch der Meinung, dass die PI’s ausreichend personell ausgestattet sein müssen. Polizei muss präsent sein können. Denn um auf die Situation in Ebersberg zurückzukommen: die Tatsache, dass die PI's unterbesetzt sind, gibt den Menschen eben kein sicheres Gefühl. Der Staat ist in der Verantwortung, alles dafür zu tun, um die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Leider ist dennoch damit nicht gesagt, dass nicht doch etwas passieren kann.

So sehr die Vorfälle in Würzburg, München und Ansbach uns alle betroffen gemacht haben, müssen wir uns als Gesellschaft überlegen, ob wir uns in unserer Art zu leben, in unserer Freiheit und dem hohen Wert der Demokratie einschränken lassen möchten. Ich möchte es nicht. Für mich haben diese Werte einen sehr hohen Stellenwert. Lassen Sie uns für unsere Werte zusammenstehen, das ist ein wichtiges Signal – gerade in diesen Zeiten!

Liebe Frau Rauscher, wir danken Ihnen für das informative Gespräch!

Am 10. August wird sich Ebersbergs Landrat Robert Niedergesäß (CSU) im Interview über die Flüchtlingssituation im Landkreis äußern. Von Stefan Dohl

Artikel vom 10.08.2016
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