»Speed-Dating« in der S1

Verspätungsserie der S-Bahn-Linie im November – Interview mit der DB

Selbst getestet: Das Warten auf die S1 am Moosacher Bahnhof war mitunter eine zähe Angelegenheit – häufig ohne ausreichend Information. 	Foto: cr

Selbst getestet: Das Warten auf die S1 am Moosacher Bahnhof war mitunter eine zähe Angelegenheit – häufig ohne ausreichend Information. Foto: cr

München/Moosach · Es erinnerte ein wenig an den Bill-Murray-Filmklassiker »Und täglich grüßt das Murmeltier«, wenn man im November die S-Bahnlinie S1 nutzte.

Nur, dass in dieser Zeitschleife beinahe täglich die Verspätung grüßte. Wirre Durchsagen bis hin zu Schweigen der Lautsprecher begleiteten hunderte Wartende an den Bahnhöfen Moosach über Fasanerie, Feldmoching, Ober- und Unterschleißheim, Lohhof, Eching, usw. Auch wenn es mitunter nur ein paar Minuten pro Tag waren, lässt sich das Ergebnis am Ende sehen. Durchschnittlich 7,10 Minuten pro Tag – und das in einem Wintermonat fast ohne Schnee und Eis. Was man in dieser Zeit wohl alles hätte machen können?

Ermittelt wurden die Verspätungen von der S-Bahn-Haltestelle Eching bis zum Moosacher Bahnhof an insgesamt 20 Tagen (nicht am Wochenende). Gefahren wurde von Eching nach Moosach morgens zwischen 6 und 8.30 Uhr (meist 6.47 Uhr) sowie von Moosach nach Eching abends zwischen 17 und 20 Uhr (meist 17.36 oder 17.56 Uhr).

Ein Höhepunkt innerhalb der Verspätungshistorie war am 12. November am Moosacher Bahnhof. Denn: Gegen 17.36 Uhr kam die Durchsage einer zehnminütigen Verspätung. Grund war eine Sperrung. Die Durchsage wurde kurz darauf auf 20 Minuten, dann 15 Minuten (Hoffnung keimte auf) und schließlich 25 Minuten korrigiert. Doch auch die S 1 um 17.56 Uhr ließ sich nicht blicken. Um 18 Uhr hatten das zermürbende Warten und die verwirrenden Durchsagen ein Ende, eine völlig überfüllte S-Bahn fuhr in den Moosacher Bahnhof ein. Gibt es etwas Schöneres als in einer (verspäteten) S-Bahn zu stehen und sich nicht mal festhalten zu müssen, weil sowieso kein Platz zum Umfallen wäre?

»S-Bahn fahren ist wie Speed-Dating«, sagte eine junge Frau zu ihren Mitreisenden an diesem Abend. Reichlich Körperkontakt sei auch gleich inklusive. Nur sein Gegenüber könne man sich nicht aussuchen. Besonders zu Stoßzeiten – wenn morgens Schüler in die Schule und Berufstätige auf Arbeit fuhren oder abends die Berufspendler nach Hause wollten – fiel auf, dass die Bahn oft gnadenlos überfüllt war. Besonders erwähnenswert war in diesem Zusammenhang eine »Schleichfahrt« am 25. November: Man hatte eine verspätete, sehr gut gefüllte S-Bahn um 18.14 Uhr auf dem Moosacher Bahnhof erwischt und freute sich auf das heimische Sofa. Doch nichts da. Für eine Strecke, die sonst maximal 16 Minuten beansprucht, brauchte man dieses Mal mehr als 30 Minuten. Und von Haltestelle zu Haltestelle füllte sich die Bahn.

Ärgerlich ist für viele Bahnkunden neben der Verspätung an sich auch die Informationspolitik der Deutschen Bahn – zu der die S-Bahn München gehört. Vielfach gab es bei Verspätungen im November überhaupt keine Durchsagen. Ein Wirrwarr von Durchsagen erfolgte hingegen am 17. November bei der S 1 um 17.36 Uhr. Nachdem diese erst zehn Minuten Verspätung haben sollte, waren es kurz darauf 15, dann zehn und schließlich wieder 15, zehn und 15 Minuten Verspätung. Wer blickt da noch durch? Die Bahn kam schließlich um 17.41 Uhr und war der verspätete Zug von 17.16 Uhr.

In einem Interview dieser Zeitung mit einem Sprecher der Deutschen Bahn wurde die Problematik S1 näher analysiert:

Münchener Nord-Rundschau: Aus welchem Grund ist das S-Bahn-Netz hier in München so störanfällig?

Bahnsprecher: Das Münchner S-Bahnnetz wurde 1972 mit ca. 250.000 Fahrgästen täglich gestartet. Es war auf Spitzen von ca. 400.000 Fahrgästen (z.B. zum Oktoberfest) ausgelegt. Aktuell sind werktags über 800.000 Fahrgäste, in Spitzenzeiten zum Oktoberfest sogar über 1.000.000 Fahrgäste mit der S-Bahn München unterwegs. Das Netz wurde aber nur geringfügig ausgebaut – z.B. durch die Flughafenanbindung Neufahrn bis Flughafen. Die Stammstrecke zwischen Pasing und Ostbahnhof besteht lediglich aus zwei Gleisen.

Anfang dieses Jahrtausends (bis 2004) wurde die Signaltechnik auf der Stammstrecke dahingehend ausgebaut, dass im morgendlichen und nachmittäglichen Berufsverkehr jeweils 30 Züge pro Stunde in jede Richtung fahren; das entspricht einer Zugfolge von zwei Minuten. Wenn es zu Störungen auf der Stammstrecke kommt, z.B. durch Notarzteinsätze, Personen im Gleis, Fahrzeug- oder Signalstörungen, wirkt sich das auch auf den Außenast der Linie S1 aus. Auf dem Außenast der Linie S1 gibt es mit Ausnahme des Abschnitts Neufahrn – Flughafen einen Mischbetrieb, d.h. die S-Bahnen teilen sich die beiden Gleise mit den Regionalzügen (Richtung Landshut, Regensburg, Passau) und den Güterzügen. Im Oktober und November fanden auf der Strecke München – Freising – Landshut Gleisbauarbeiten statt. Aufgrund von eingleisigem Verkehr kam es dabei zu Verspätungen und teilweise Zugausfällen mit Schienenersatzverkehr.

München wächst: Warum gibt es keine kürzere Taktung der S-Bahnen, wie das beispielsweise in anderen Großstädten wie Hamburg der Fall ist?

Bahnsprecher: Wegen des Engpasses der Stammstrecke kann nur auf drei S-Bahnlinien (S2, S3 und S8) ein 10-Minuten-Takt angeboten werden. Taktverdichtungen auf weiteren Strecken sind erst möglich, wenn die zweite Stammstrecke mit zwei zusätzlichen Gleisen zwischen Laim und Leuchtenbergring fertiggestellt ist. Die Pläne des Freistaates sehen dann einen 15-Minuten-Grundtakt auf (fast) allen Linien – auch auf der Linie S1 – vor, die durch zwei Express-S-Bahnen (alle 30 Minuten) bei den von diesen Express-S-Bahnen angefahrenen Stationen zu sechs Zughalten pro Stunde führen werden. Auf der S1 wird sich das Betriebskonzept signifikant verbessern.

In der letzten Zeit sind die Bahnen sehr voll, sodass das Aus- und Einsteigen zur Herausforderung wird. Dabei fällt auf, dass die Bahnen oft mit weniger Abteilwagen als früher unterwegs sind. Warum fahren zu den Stoßzeiten keine Bahnen mit mehr Abteilwagen?

Bahnsprecher: Zwischen Ostbahnhof und Neufahrn fahren schon – außer in Tagesrandlagen oder am Wochenende – planmäßig dreiteilige Langzüge, die in Neufahrn für die Weiterfahrt nach Freising bzw. zum Flughafen geteilt werden. Mehr als dreiteilige Langzüge können wegen der Bahnsteiglänge nirgendwo im S-Bahnnetz eingesetzt werden. In der letzten Woche sind zeitweilig wegen eines Engpasses in der Werkstatt – eine Maschine zum Nachschleifen der Räder war ausgefallen – nur zweiteilige Vollzüge gefahren. Das führte nicht nur auf der S1 zu volleren Zügen. Der Schaden wurde mittlerweile behoben.

An den Bahnhöfen (u. a. in Moosach) gibt es häufig ein Wirrwarr an Durchsagen. Oft sind diese viel zu spät oder es gibt mehrere Durchsagen hintereinander. Wie und wo werden diese gesteuert?

Bahnsprecher: In der Regel werden Zugverspätungen von mehr als fünf Minuten durchgesagt. Die Durchsagen kommen vom Ansagezentrum, das im Münchner Hauptbahnhof sitzt. Insbesondere bei Großstörungen schaffen es die Kollegen im Ansagezentrum mitunter nicht, an allen Stationen die wünschenswerten Durchsagen zu machen. Die S-Bahn München arbeitet mit der DB Netz AG und dem Bahnhofsmanagement aber an einem neuen System der Fahrgastinformation, das stärker automatisiert ist und die Zugdaten über GPS ermittelt. Christine Henze

Artikel vom 09.12.2015
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