Das geht uns was an

München · NS-Dokumentationszentrum in der Brienner Straße eröffnet

Die puristische Gestaltung des NS-Dokumentationszentrums will nicht im Mittelpunkt stehen, sondern die Ausstellung soll das Zentrum sein. 	Foto: cr

Die puristische Gestaltung des NS-Dokumentationszentrums will nicht im Mittelpunkt stehen, sondern die Ausstellung soll das Zentrum sein. Foto: cr

München · An diesem Ort wurde Geschichte geschrieben.

Normalerweise folgt auf einen solchen Satz eine Heldengeschichte und das ist auch diesmal nicht anders. Bevor aber die Heldentat vollbracht wurde, die in diesem Fall selbstverständlich sein sollte, musste zunächst das Böse, das Grauen die Menschheitsgeschichte verändern. Die Rede ist vom Aufstieg der Nationalsozialisten, der sehr eng mit München als Ort verbunden ist. Das Machtzentrum dieses Bösen war die Parteizentrale am Königsplatz, das sogenannte Braune Haus. Hier wurde wahrlich Geschichte geschrieben, grausam und menschenverachtend, mit dem Blut Millionen unschuldiger Opfer.

Wie es dazu kommen konnte, zeigt seit Donnerstag das NS-Dokumentationszentrum in der Brienner Straße, exakt an dem Ort, wo bis 1945 das Braune Haus stand. Mit der Eröffnung und der Ausstellung wird nun erneut Geschichte geschrieben. Auf vier Etagen wird ausführlich erklärt, unter welchen Voraussetzungen der Antisemitismus in Deutschland nach 1918 wieder salonfähig werden konnte. Es wird schonungslos gezeigt, mit welchen perfiden Methoden die Nationalsozialisten Minderheiten ausgrenzten, Menschen demütigten, quälten, folterten und ermordeten. Menschen, die nichts Falsches getan hatten, deren einziger »Fehler« es war, kein Arier zu sein oder anders zu denken als das Regime.

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Der Eröffnungstag des NS-Dokumentationszentrums, dessen Realisierung 70 Jahre brauchte – erste Vorschläge für ein solches Zentrum gab es bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg – wurde bewusst auf den 30. April 2015 gelegt, den 70. Jahrestag der Befreiung Münchens vom Nazi-Terror. 70 Jahre, eine lange Zeit. »Was geht uns das heute an?«, fragte Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter bei der Vorbesichtigung am Mittwoch und beantwortete seine provokante Frage selbst: »Was geschehen ist, kann wieder geschehen.« Um das zu verhindern, muss man aufklären und erinnern. Die Zahl derer, die die Zeit bis 1945 selbst erlebt haben, wird von Tag zu Tag weniger.

Irgendwann wird der letzte Mensch, der diese Zeit und diese Stimmung aus eigener Erfahrung kennt, gestorben sein. Und dann? Vergessen, verdrängen, verharmlosen? Oder doch lieber mit eindringlichen Fotos, Dokumenten und Zeitzeugenberichten dieses Klima der Angst und Unterdrückung, der Gleichschaltung und Gewalt ins Gedächtnis rufen? Ja, vielleicht sogar Angst und Schrecken beim Besucher auslösen, damit das ganz selbstverständliche Bedürfnis entsteht, das wir heute mit den beiden Worten »Nie wieder!« beschreiben.

Das NS-Dokumentationszentrum geht auf viele gesellschaftliche Bereiche der 30er-Jahre ein, darunter Politik, Kultur und Wirtschaft. Es schafft einen ­Gesamteindruck der Lebensrealität, wie sie damals herrschte. Dennoch fällt es schwer zu verstehen, wie das, was Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle als »größten Zivilisationsbruch der deutschen Geschichte« bezeichnet, tatsächlich geschehen konnte. Dass München der Ort ist, »an dem der Ungeist seinen Anfang nahm« (Spaenle), ist ein Stigma, das zur Stadt gehört und das sie nicht verleugnet. »München stellt sich seiner Vergangenheit«, betonte Dieter Reiter, denn: »Dieser Teil unserer Geschichte ist niemals abgeschlossen.« Der Oberbürgermeister bezeichnete das NS-Dokumentationszentrum als »Kontrapunkt an authentischem Ort« – ein später Triumph der Aufklärung über die ­Nazi-Ideologie. »Geschichte kann nicht ungeschehen gemacht werden, aber aus Geschichte kann man lernen«, brachte Ludwig Spaenle die Aufgabe des NS-Dokumentationszentrums auf den Punkt. Dabei handelt es sich nicht nur um ein Museum, in dem Exponate der Zeitgeschichte gezeigt und eingeordnet werden. Zu der Einrichtung gehört auch ein Lernforum zur eigenständigen Recherche über die Situation im Deutschen Reich der Weimarer Republik und der Nazi-Diktatur.

Hier gibt es umfassende Literatur und interaktive Medientische, an denen man zu den Öffnungszeiten und ohne Anmeldung Einblicke gewinnen kann. Das NS-Dokumentationszentrum ist dienstags bis sonntags geöffnet, jeweils von 10 bis 19 Uhr. Der Eintritt kostet 5 Euro für Erwachsene, ermäßigt 3 Euro. Bis einschließlich 31. Juli, also drei Monate lang, ist der Eintritt frei. Bildung zum Nulltarif. Prädikat: besonders wertvoll. Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 30.04.2015
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