Brücke über den Ozean

Interview mit amerikanischen Gaststudenten über München

Drei Amerikaner an der Feldherrnhalle. (v.n.l.r): Nadia Cumming, Jackson Loop und Andrea Fox.	Foto: DAF

Drei Amerikaner an der Feldherrnhalle. (v.n.l.r): Nadia Cumming, Jackson Loop und Andrea Fox. Foto: DAF

München · Der Österreicher Falco sang schon in seinem Song »America« in den Achtzigerjahren, wie sehr man das Land der unbegrenzten Möglichkeiten vermissen kann. Noch viel größer sollte insofern das Heimweh für Amerikaner in München sein. Wir haben deshalb drei gefragt.

Das Samstagsblatt im Gespräch mit den amerikanischen Studenten Andrea Fox, Nadia Cumming und Jackson Loop, die mit einem Stipendium des Deutsch-Amerikanischen Frauenclubs gefördert werden

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Münchner Samstagsblatt: Frau Cumming, Frau Fox und Herr Loop, Sie verbringen ein Semester an der LMU. Wie kam es zu dem Austausch? Und wieso haben Sie die LMU und München gewählt?

Nadia Cumming: Die Professorinnen der Deutschabteilung an meiner Heimatuniversität haben mich ermutigt, mich für das VDAC-Stipendium zu bewerben. Ich war eine der zwei glücklichen Studenten, die ausgewählt wurden. Für eine Präsentation in »Kulturellem Bewusstsein« habe ich letztes Semester München studiert. Die wunderschönen Sehenswürdigkeiten, vielfältige Kultur und die akademischen Angebote der Universität haben ein großes Interesse in mir erweckt und deshalb habe ich München gewählt.

Andrea Fox: Letztes Jahr war ich auf einem kurzen Studienprogramm in Berlin und wir haben für ein paar Tage München besichtigt. Als ich zurück in die USA gekommen bin, habe ich einen Professor in der Deutsch-Fakultät gefragt, wie ich mehr Zeit in Deutschland verbringen könnte. Er hat mir von dem Austausch erzählt. Ich wollte in München wohnen, weil die Stadt und die Universität so unglaublich schön sind. Die LMU bietet Germanistik-Kurse an, die ich an meiner Heimatuniversität nie bekommen könnte.

Jackson Loop: Auf jeden Fall hatte ich vor, ein Jahr zwischen meinen Bachelor-Abschluss und der Graduate School in Deutschland zu leben. Dann bot der deutsche Fachbereich bei meiner Uni mir dieses Austauschprogramm an. Ich konnte drei verschiedene Städte auswählen. München war meine zweite Wahl nach Berlin, aber trotzdem bin ich hier sehr zufrieden.

Frau Fox und Frau Cumming, Sie studieren Germanistik. Was fasziniert Sie an der deutschen Sprache? Haben Sie selbst deutsche Vorfahren?

Fox: Die logische Struktur und die Laute gefallen mir. Als ich vor zwei Jahren mit Deutsch angefangen habe, dachte ich, dass die Wörter eine bestimmte Festigkeit und Schönheit hatten. Zum Beispiel sind »Seerose« und »Glühbirne« echt schöne Wörter, die für eine Fremde poetisch klingen. Ich habe keine deutschen Vorfahren, sondern polnische.

Cumming: Meine Mutti ist Schweizerin und ich hatte die Gelegenheit, als Mädchen für dreieinhalb Jahre in der Schweiz zu wohnen. Mein Urgroßvater war Deutscher und zog mit seiner Familie in die Schweiz. Es gibt viele Gründe, warum ich die deutsche Sprache liebe. Deutsche Wörter werden, im Gegensatz zu Englisch, ausgesprochen wie sie geschrieben werden. Ich finde die langen Bandwurmwörter lustig aber sinnvoll und liebe solche unübersetzbaren deutschen Wörter wie Fernweh und Backpfeifengesicht.

Herr Loop, Sie studieren Geschichte. Was reizt einen Historiker an München? Sind die Geschichtskultur und das Geschichtsbewusstsein nach Ihrer Einschätzung in beiden Ländern verschieden?

Loop: Ja, natürlich. Deutsche Geschichte ist älter, reicher, und intensiver als amerikanische. Im Alltag macht dieser Umstand keinen merklichen Unterschied zwischen unseren Ländern. Aber ich würde sagen, dass die Tiefe deutscher Geschichte und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart noch stark sind und das ist nicht immer der Fall in den USA. Kein modernes Land hat durchlebt, was Deutschland durchlebt hat. Das ist der Hauptunterschied, nach meiner Meinung.

Fallen Ihnen Dinge im Alltag auf, die in beiden Ländern komplett verschieden sind?

Fox: Hier sagen die Leute immer »Ciao« oder »Servus«, wenn man den Aufzug verlässt. Amerikaner sind normalerweise freundlicher mit Unbekannten, aber wir reden mit Fremden nie auf diese Weise. Es gibt auch Bäckereien überall. In den USA kauft man Brot normalerweise beim Supermarkt, aber hier ist alles ganz frisch.

Cumming: Es gibt besonders große Unterschiede zwischen den Geschäftszeiten in Deutschland und den USA. Ich bin eine Nachteule und muss hier immer daran denken, meine Einkäufe früh zu erledigen und natürlich auch für Sonntag vorauszuplanen. In den USA kann ich zu jeder Zeit einkaufen – Tag und Nacht. Sonst ist der Alltag zwischen den zwei Ländern nicht so verschieden.

Welches Bild von München hatten Sie vor dem Aufenthalt? Wie sieht es jetzt aus?

Fox: Meine Vorstellung von München war kaum größer als eine Postkarte. Jetzt weiß ich, wie vielschichtig die Stadt ist. Ich würde mich nicht wundern, wenn ich noch nicht mal die Hälfte gesehen hätte.

Cumming: Ich habe mir München als eine schöne Stadt vorgestellt voller Geschichte, Kultur, und Menschen, gekleidet in Lederhosen und Dirndl. Ich habe inzwischen herausgefunden, dass da noch viel mehr ist. München hat Sehenswürdigkeiten von Weltklasse, aber bewahrt trotzdem eine angenehme Kleinstadt-Atmosphäre. Nur eine U-Bahn-Station entfernt von der Natur und einer pulsierenden Metropole habe ich das Beste aus beiden Welten. Ich fühle mich hier immer sehr sicher und es ist nie langweilig.

Welchen Ruf haben München und Deutschland in Ihrem Umfeld in den USA?

Fox: Manche Amerikaner verbinden München — und Deutschland — mit Erfolg und Geschäftigkeit. Wir achten deutsche Menschen. Ab und zu gibt es Witze über die deutsche Sprache, aber die jungen Leute vergessen ihre Witze, wenn sie deutsches Essen und Bier sehen.

Sie haben Studenten-Erfahrungen auf zwei Kontinenten. Welche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten haben Sie im Studentenleben feststellen können?

Cumming: Der größte Unterschied sind sicher die Studiengebühren. Es ist einfach unbezahlbar in Amerika und die meisten Studenten absolvieren ihr Studium mit hohen Schulden. Man erwartet hier viel mehr Selbstständigkeit von Bachelor-Studenten. In Amerika kriegt man viele Hausaufgaben, Tests usw. Die Tatsache, dass die meisten Klassen hier nur einen Test haben, der über die Note entscheidet, macht mich ganz nervös.

Wie unterstützt der Deutsch-Amerikanische Frauenclub ihren Aufenthalt? Das Motto des Austausches lautet »Eine Brücke über den Ozean«. Können Sie sich vorstellen, später länger in München oder Deutschland zu leben?

Fox: Der Frauenclub macht diese ganze Erfahrung möglich, und ich fühle mich in einer neuen Stadt besser mit der Unterstützung des Frauenclubs. Ich würde später gerne hier oder woanders in Deutschland leben. Viele junge Leute in den USA finden deutsche Städte attraktiv und spannend.

Wenn Sie eine amerikanische Touristengruppe in der Innenstadt sehen, denken Sie dann: »Oh, schon wieder eine Touristengruppe!« oder »Hurra, ganz viele Landsleute«?

Fox: Ich höre Amerikaner nicht so oft, deswegen bin ich aufgeregt, wenn ich eine amerikanische Touristengruppe sehe. Ich vermisse die amerikanische Freundlichkeit. Münchner sind auch nett, aber im Allgemeinen ist die Distanz zu Unbekannten hier größer.

Herr Loop, wenn Sie einem Besuch aus den USA nur einen Ort in München zeigen dürften, welchen würden Sie auswählen?

Loop: Ich würde den Englischer Garten auswählen, weil er alles hat. Die deutschen Leute, die Natur, die Hunde, und dazu natürlich die Biergärten!

Vielen Dank für das Gespräch!

Von Marcus Ullrich

Artikel vom 05.12.2014
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