Schüler und Flüchtlinge stellen Fotos im EineWeltHaus aus

Zentrum · Wo ist dein Zuhause

Benjamin Feldhoff (r.) und Ahmed Alizada gehören zu den Künstlern der Ausstellung im EineWeltHaus.	Fotos: Julia Stark

Benjamin Feldhoff (r.) und Ahmed Alizada gehören zu den Künstlern der Ausstellung im EineWeltHaus. Fotos: Julia Stark

Zentrum · Was der Begriff »Zuhause« für sie bedeutet, zeigen derzeit junge Flüchtlinge, die als Minderjährige ohne Eltern nach Deutschland kamen, und Schüler des Moosacher Gymnasiums in einer gemeinsamen Fotoausstellung im EineWeltHaus in der Schwanthalerstraße. So verschieden die Auffassungen dazu auch sind – in einem Punkt sind sich die Jugendlichen einig: Daheim zu sein heißt, bei der eigenen Familie leben zu können.

Bücher, ein Backhandschuh, Szenen in einem Schnellrestaurant und eine Pferdekutsche auf der Ludwigstraße – die Motive der Bilder, die die Jugendlichen ausgewählt haben, unterscheiden sich stark voneinander. »Unter Heimat versteht jeder etwas ganz anderes«, sagt Joelle Sossou. Die 17-Jährige besucht das Moosacher Gymnasium, ihr Vater stammt aus Togo, ihre Mutter ist Deutsche. Sie selbst verbinde mit dem Wort »Zuhause« keinen bestimmten Ort, erklärt sie: »Mir sind Bücher wichtig. Wo Bücher sind, fühle ich mich daheim. Und dort, wo meine Familie ist.« Für die Ausstellung hat sie deshalb sich und ihre Schwester beim Lesen fotografiert. Auch für Pia Utz, ebenfalls 17 und Schülerin des Moosacher Gymnasiums, spielt die Geborgenheit der Familie eine große Rolle. Zuhausesein bedeutet für sie, mit den Angehörigen einen gemütlichen Nachtmittag zu verbringen: »Es ist dieses Wohlgefühl, das man hat, wenn man mit der Großmutter Kekse backt.« Ein Backhandschuh ist auch auf ihrem Foto zu sehen.

Doch das ist nur die Hälfte dessen, was ursprünglich geplant war. Vorgesehen gewesen sei eigentlich eine Partnerarbeit mit einer Schülerin der Schlau-Schule, einer Einrichtung in der Schwanthalerstraße, an der junge Flüchtlinge ihren Schulabschluss erwerben können. »Wir wollten einen Kontrast zeigen, ein intaktes Zuhause und eines, bei dem etwas fehlt« berichtet Pia Utz. Doch nach dem ersten Treffen sei ihre Partnerin nicht mehr erreichbar gewesen: »Ich weiß nicht, wo sie ist und was mit ihr passiert ist.« Mehrere der jungen Flüchtlinge hätten das Projekt wegen schwerwiegender persönlicher Probleme abbrechen müssen, erklärt Michaela Almog, Lehrerin am Moosacher Gymnasium, die die Ausstellung in einer Kooperation mit der Schlau-Schule organisiert hat. Geglückt ist die Zusammenarbeit zwischen dem 15-jährigen Benjamin Feldhoff und dem 18-jährigen Ahmed Alizada, der vor vier Jahren von Afghanistan nach Deutschland geflohen ist. Vor einigen Wochen haben sich die beiden in einem Schnellrestaurant zum ersten Mal getroffen. »Dort haben wir unsere Ideen dann auch gleich umgesetzt«, sagt Benjamin Feldhoff.

Eines der Bilder zeigt den Moosacher Schüler im Kreis der Familie. »Das ist aber gar nicht meine Familie, ich habe mich einfach irgendwo dazu gesetzt«, verrät er. Auf dem anderen Foto ist Ahmed Alizada zu sehen – allein. Seine Familie habe er in Afghanistan verloren, erzählt er: »Ich habe sie über ein Jahr lang gesucht und weiß nicht, ob sie noch leben.« Noch heute vermisse er seine Angehörigen schmerzlich. »Das zu hören war für mich sehr traurig«, sagt Benjamin Feldhoff. Das Anliegen der Fotoarbeit sei, dieses tragische Schicksal der jungen Flüchtlinge darzustellen. Mehr Glück hatte Arif Nursai. Der heute 20-jährige Afghane lebt seit rund drei Jahren in Deutschland. Sein Bild zeigt eine Pferdekutsche auf der Ludwigstraße mit Männern in bayerischer Tracht. »Das ist Kultur«, sagt er und fügt hinzu: »Inzwischen ist es auch meine Kultur, weil mein Vater ein Bayer ist.« Der Nachhilfelehrer, der ihn während seiner Unterbringung in der Asylbewerberunterkunft in der Bayernkaserne unterrichtet hat, hat ihn 2012 adoptiert: »Wir haben uns dort kennengelernt, und unser Verhältnis wurde immer enger.«

Seitdem lebt er bei seinem Adoptivvater im südlichen Bahnhofsviertel. Sein leiblicher Vater kam in Afghanistan ums Leben. Auch auf ihn selbst sei geschossen worden, erzählt er und zeigt auf seine Narben am Arm: »Ich kann nicht mehr in mein Heimatland fahren, ich bin dort in großer Gefahr.« Seine Mutter, zwei Schwestern und sein Bruder leben aber weiterhin in Afghanistan. Telefonisch steht er regelmäßig in Kontakt mit seiner Familie, gesehen hat er sie aber seit seiner Flucht nicht mehr. Alle Versuche, ein Visum für einen Besuch seiner Angehörigen in Deutschland zu bekommen, seien bislang fehlgeschlagen: »Ich vermisse sie sehr.« Dennoch hat er in München ein neues Zuhause gefunden. Zu sehen ist die Ausstellung im EineWeltHaus noch bis Donnerstag, 31. Juli, zu den regulären Öffnungszeiten. Der Eintritt ist frei.

Julia Stark

Artikel vom 15.07.2014
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