Sanierungsschrecken

Ramersdorf · PAK-Kontaminierung erfordert Austausch der Humusschicht

Heinz Brunauer gehört zu den Kleingärtnern in Ramersdorf, die von einer Totalsanierung ihres Gartens betroffen sind. 	Foto: bus

Heinz Brunauer gehört zu den Kleingärtnern in Ramersdorf, die von einer Totalsanierung ihres Gartens betroffen sind. Foto: bus

Ramersdorf · Die Kleingärtner im südlichen Ramersdorf nahe der Balanstraße sind in Aufruhr. Ihre Parzellen zwischen Kopischstraße und Lauensteinstraße sind mit polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) so stark belastet, dass die gesamte Humusschicht von rund 60 bis 80 Zentimetern abgetragen werden soll.

Das schmerzt die meist alteingesessenen Gärtner, die viel Liebe in ihre Beete, Bäume, Wiesen und Lauben stecken. »Bis alles dann wieder halbwegs so gewachsen ist wie jetzt, sind wir über 80 Jahre alt«, erklärt Joseph Schaipp, der mit seiner Frau den Garten schon seit 30 Jahre besitzt. Die Sanierung wirf Fragen auf. Warum gerade jetzt? Droht eine Wohnbebauung, wenn Pächter nach der Sanierung aufgeben? Muss das wirklich sein?

»Vom Herbst 2015 bis Frühjahr 2017 sind umfangreiche Sanierungsarbeiten geplant«, schreiben die beiden Vorsitzenden der Kleingartenanlage Süd-Ost 007 Silvia Weger und Peter Gmeinwieser an den BA 16. Probebohrungen haben laut Referat für Umwelt und Gesundheit ergeben, dass wegen der PAK-Kontaminierung keine Gartennutzung mehr möglich sei. Die gesamte Erde in allen Parzellen müsse abgetragen und dann neu aufgefüllt werden. Die Schadstoffaufnahme erfolgt laut Referat vor allem über kontaminierte Bodenpartikel. Die Verseuchung von Baum- und Strauchobst sei unbedeutend. In der Sanierungszeit werde die Anlage nur begrenzt begehbar sein. Im BA hat Silvia Weger die Betroffenheit und die Ängste der Kleingärtner persönlich geschildert. »Das ist katastrophal für die vielen älteren Pächter. Wir fürchten, dass anschließend zahlreiche Kleingärtner aufgeben und haben Angst, dass die geschützten Parzellen doch noch für Wohnungsbauprojekte geräumt werden sollen.«

In München herrsche ja Wohnungsnot und die Hochäckerstraße werde wohl auch bebaut. Außerdem sind schließlich nebenan auch das BOB-Gelände und ein Sportverein, die vielleicht mehr Platz bräuchten oder zur Wohnbebauung umgewandelt werden. Und auch die eigentlichen Sanierungsmittel seien von der Stadt noch nicht frei gegeben.

Zahlreiche PAK sind nachweislich krebserregend. Sie sind natürlicher Bestandteil von Kohle und Erdöl und gelangen überwiegend bei der Verbrennung fossiler Energieträger mit den Abgasen in die Luft. PAK werden auf und in den Boden eingetragen, wo sie flächendeckend nachweisbar sind. Lokal von Bedeutung als PAK-Emittenten sind Altlasten, z. B. ehemaliger Gaswerke und Kokereien, oder Altablagerungen von PAK-haltigen Abfällen wie Asche und Altöl. In Laufe der Jahre haben sich die Grenzwerte verschärft, weil die Wissenschaft immer deutlicher die Gefahren für Menschen nachweisen kann.

Wie besorgt und panisch die betroffenen Kleingärtner sind, zeigt auch ein Brief an den BA. Dort beschreibt ein Laubenbesitzer die Stimmung auf der Krisensitzung für die Kleingartenanlage im Mai. »Den meisten war zum Weinen zumute«.

Außer PAK haben die Bodenuntersuchungen der Stadt München auch Blei und Cadmium bei bis zu 10,5 Meter tiefen Bohrungen ergeben. Grund seien 100 Jahre alte Industrieabfälle. Nach der Zerstörung der Erholungsoasen wegen der Bodenabtragung habe die Stadt Wiederaufbau der Anlage und Entschädigung versprochen. Trotzdem geht die Angst um, denn die Anlage wäre als Baugrund Millionen schwer, wenn es nicht seit 1993 ein Gesetz über das Dauernutzungsrecht geben würde, wie der Betroffene schreibt. Viele seien 60 Jahre oder auch schon 80 und betreiben ihre Gärten seit 40 Jahren. »Diese Menschen haben nicht die Kraft, die Energie und auch nicht das Geld, wieder von vorne anzufangen.« Für die Schätzwerte werde man keine neuen Pflanzen, Beete oder Gewächshäuser bekommen.

»An der Verseuchung ist nichts zu ändern, dafür kann die Stadt nichts und erst recht nicht meine Kleingärtner«, sagt der Vorsitzende der Nachbaranlage Süd-Ost 006, Heinz Brunauer. »Im Augenblick dürfen wir im Boden nichts anbauen oder verzehren und müssen Kleinkinder vor der Erde im Garten schützen. Das kann so nicht bleiben.« Schnelles Handeln sei gefragt. Die Lauben und die zugehörigen Terrassen dürfen stehen bleiben, Wege, Platten sowie Gewächshäuser, Zäune und Gartentüren müssen die Pächter entfernen und in ihren Lauben einlagern. Dann wird das gesamte Erdreich entfernt und neu eingebracht. Das bedeutet auch, dass fast alle Büsche und Bäume gefällt werden müssen. Bleibt ein Baum stehen, dann bindet er auch weiter verseuchtes Erdreich und wird in kurzer Zeit damit wieder die Humusschicht im Umkreis kontaminieren, weil die Schadstoffe wandern. Von den 53 Pächtern des Bereichs 006 werden bisher alle die Maßnahmen akzeptieren. Für Abgebautes erhalte man eine Entschädigung nach heutigem Wiederbeschaffungswert: »Der finanzielle Mehraufwand wird wahrscheinlich sehr gering ausfallen, aber es entsteht ein enormer Arbeitsaufwand. Wir haben einige Pächter, die weit über 80 Jahre sind, die schaffen das nicht mehr. Auch einen tragenden Obstbaum kann man nicht so einfach ersetzen, es dauert ja Jahre, bis man einen jungen Baum wieder ernten kann«, erklärt Brunauer.

Zwei Pächter aus dem Nachbargebiet 006 wollen den Rechtsweg bestreiten und alle Möglichkeiten ausschöpfen. Dann müssen statt der bisherigen Mischbodenproben noch zahlreiche weitere Bohrungen genommen und analysiert werden. »Da wird inhaltlich nichts Neues rauskommen. Die Böden müssen einfach entsorgt werden. Aber der Zeitplan könnte sich verschieben und alles wird noch länger dauern. Das bedeute für die Anlage einen unguten, verseuchten Wartezustand«, kritisiert Brunauer. Er hofft, dass sich nicht auch noch Pächter der 006 für eine Klage entscheiden. Und: Er möchte, dass alles so schnell und gut läuft, wie geplant. »Es werden von einem unabhängigen Gutachter vorab Fotos geschossen, damit alle Gärten wieder hergestellt werden können. Am Luitpoldpark ist eine ähnliche Sanierung gut gelaufen. Wir wollen unsere Gärten bald wieder ohne Sorgen nutzen.« Dass ältere Pächter im Zuge der Sanierungsmaßnahmen leider ihre Grundstücke abgeben werden, sei traurig, aber neue Mieter stünden schon auf Wartelisten. »Ich habe keine Sorge, dass die Anlage verwaist. Und auch Wohnungsbau ist hier völlig ausgeschlossen«, ist sich Heinz Brunauer sicher. bus

Artikel vom 08.07.2014
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