Weniger Sicherheit

Auch in München gibt es immer mehr befristete Jobs

Erzieher werden – wie auch im öffentlichen Dienst Beschäftigte – oft mit Kurzzeitverträgen abgespeist. 	Foto: sh

Erzieher werden – wie auch im öffentlichen Dienst Beschäftigte – oft mit Kurzzeitverträgen abgespeist. Foto: sh

München · München wächst. Doch für viele Arbeitnehmer wird es schwieriger, mitzuhalten – und genug zu verdienen, um die Miete für eine Wohnung berappen zu können. Für junge Leute ist der Start in ein eigenverantwortliches Leben besonders schwer zu stemmen: …

Für fast die Hälfte von ihnen (derzeit 44 Prozent) ist der erste Arbeitsvertrag von vorneherein befristet. So lässt sich weder im Beruf Fuß fassen noch wird eine Perspektive für die persönliche Zukunft greifbar.

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Ein Zeitjob ist keine Grundlage, auf der man sein Leben mit einer gewissen Sicherheit planen kann. Befristete Arbeitsverträge sind sinnvoll – wenn etwa eine schwangere Mitarbeiterin oder Mütter und Väter in Elternzeit zu vertreten sind. Längst sind jedoch »sachgrundlose Befristungen« zur Regel geworden: Die Zahl der in Deutschland befristet Beschäftigten lag 2012 mit rund 2,7 Millionen doppelt so hoch wie 1996, bilanziert das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), eine Einrichtung der Bundesanstalt für Arbeit. Jeder zehnte Arbeitsvertrag hat von Anfang an ein »Verfallsdatum« – Mini-Jobs oder Praktika gar nicht erst mitgerechnet). Fast 60 Prozent dieser Fristverträge laufen weniger als ein Jahr. Nirgends lassen die Arbeitgeber ihre Beschäftigten dabei so gerne in Frist-Jobs zappeln wie in den Bereichen Erziehung, Unterricht und öffentliche Verwaltung.

Hier werden 76 beziehungsweise 60 Prozent aller Neuen von vorneherein nur befristet eingestellt. Und nirgends werden befristet Beschäftigte so selten in feste Arbeitsverhältnisse übernommen wie im öffentlichen Dienst (28 Prozent) und bei Erziehern/Schulen (18 Prozent), so das IAB. »Das ist einfach nur Ausnutzen von Mitarbeitern!« sagt Gewerkschaftssekretärin Almut Büttner-Warga (Ver.di München) und zieht als Beispiel die Münchner Hochschulen heran.

Bis zu 80 Prozent der Verträge sind hier befristet. Seit vier Jahren betreut Büttner-Warga den Hochschulbereich. »Neueinstellungen habe ich in dieser Zeit bis auf wenige Ausnahmen nur befristet gesehen«, fasst sie zusammen und schildert den Fall eines Mitarbeiters, der zwölf Jahre lang immer nur befristete Verträge bekam. Eine ähnliche Situation wie bei den Hochschulen sieht Büttner-Warga bei manchen privaten Schulen in der Region, die Lehrerstellen nur noch für die Dauer eines Schuljahres besetzen. Nicht nur für die Lehrkräfte ist dies eine Problem: Auch die Kinder, für die Zuverlässigkeit und Kontinuität besonders wichtig wären, spüren den Einschnitt. »Hier liegt einiges im Argen«, meint Büttner-Warga.

Die Gewerkschaften laufen Sturm gegen diese Praxis. Befristungen lassen Beschäftigten keine Chance, sich eine halbwegs sichere Perspektive für Beruf, Familie und Kinder aufzubauen. Das gilt sogar für den Wohnort: Wer weiß schon, wo er im nächsten Jahr landet, wenn der aktuelle Arbeitsvertrag zu Ende ist? Tatsächlich laufen 59 Prozent der Frist-Verträge nicht einmal mehr ein Jahr lang. Planungssicherheit gibt es nicht mehr. Es hat »eine Verlagerung von Beschäftigungsrisiken hin zu jüngeren Beschäftigten stattgefunden«, bilanzieren Thomas Rhein und Heiko Stüber vom IAB. Während ältere Beschäftigte in immer besser bestallte Tarifstufen rutschen, sehen sich ihre jüngeren Kollegen von Existenzangst begleitet.

Alles hängt schließlich zusammen: Wer einen Arbeitsvertrag mit baldigem Verfallsdatum hat, wird kaum eine Wohnung finden. Und schon eine Autoreperatur kann zum Ding der Unmöglichkeit werden, wenn die Bank aufgrund des instabilen Arbeitsverhältnisses die Kreditwürdigkeit vermisst. Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisiert, dass Arbeitnehmer in Frist-Jobs Arbeitsbedingungen hinnehmen müssen, die mit gesetzlichen und tariflichen Regeln nicht vereinbar sind. Gewerkschafter sprechen vom »Abbau des Kündigungsschutzes durch die Hintertür«.

»Die Leute können sich die Stadt nicht mehr leisten«, schildert Büttner-Warga die Lage in München. Die jungen, gut ausgebildeten und motivierten Fachkräfte, die händeringend gesucht werden, kehren der noch boomenden Region den Rücken. Das macht es für Arbeitgeber nicht leichter, qualifiziertes Personal zu finden. Und ihr Stammpersonal wird zusätzlich belastet, weil ständig neue Kurzzeitkollegen eingearbeitet werden müssen. Von Johannes Beetz

Artikel vom 17.04.2014
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