Musik ohne Barriere

Verein »Aktiv mit Handicap« ist ein etwas andere Musikverein

Singen ohne Barrieren: Einen etwas anderen Chor für Menschen mit und ohne Behinderung leitet Dorothea Leberfinger.	Foto: privat

Singen ohne Barrieren: Einen etwas anderen Chor für Menschen mit und ohne Behinderung leitet Dorothea Leberfinger. Foto: privat

Ramersdorf/Giesing · Warmherzig begrüßt Marion Geiger die ersten Aktiven der Trommelgruppe. Einige kommen zu Fuß in das gemütliche Gemeindewohnzimmer der Lutherkirche in Giesing. Andere sitzen im Rollstuhl.

Wer hierher geht oder fährt liebt Musik und will Freude und Gemeinsamkeit beim Ausprobieren neuer Klänge und Rhythmen erleben. Eigentlich ein ganz normaler Trommelkurs. Allerdings richtet sich dieses musikalische Angebot extra an Menschen mit körperlichen oder auch psychischen Einschränkungen. »Kommen Sie zu uns, wir freuen uns auf Sie!«, ist das Motto des Vereins »Aktiv mit Handicap«. Durch die Vorsitzende Marion Geiger wird es zur Wirklichkeit. Sie weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, krank zu sein. »Früher habe ich als Fachassistentin in einer Apotheke gearbeitet.

Als meine MS-Erkrankung schlechter wurde, musste ich die Apotheke verlassen und war dann in der Elektroindustrie beim Zusammenbau von kleinsten Teilchen. Das ging im Sitzen gut, aber irgendwann konnte ich es nicht mehr.« Es klingt nicht bitter, sondern wie ein stolzer Rückblick auf eine ganz normale Berufskarriere, wenn sie erzählt. Jammern und Klagen liegt der Ramersdorferin Marion Geiger nicht. Aber sie weiß, was es bedeutet, zu früh in Rente zu gehen und wegen Krankheit aus dem Berufsleben auszuscheiden. Für sich hat sie eine neue Aufgabe gefunden, bei der ihr Mann sie tatkräftig unterstützt: »Heute ist der Verein »Aktiv mit Handicap« meine Firma. Hier habe ich immer was zu tun.« Mit ihrer persönlichen Kraft und Lebensstärke macht sie ihren Kursteilnehmern Mut, die es vielleicht weniger gut getroffen haben. Denn neben Einsamkeit und gesellschaftlicher Isolierung haben viele Behinderte und früh Verrentete drängende Alltagssorgen wie Scheidungen, finanzielle Ungewissheit oder tägliche Schmerzen.

Gemeinsamkeit und Interaktion ist Marion Geiger wichtig, aber ihre Musikkurse sollen kein Kaffeetratsch über Sorgen, Krankheiten und Probleme sein. Im Gegenteil: »Wir bieten eine nonverbale Aktivität, auf die man sich voll konzentrieren und einlassen kann. Natürlich stehen dahinter als Grundpfeiler unserer Philosophie Lebensfreude, soziale Kontakte und selbstbestimmtes Handeln. Aber zuallererst geht es ums gemeinsame Musizieren, Loslassen und Neues entdecken.« Außerdem ist die Arbeit des kleinen Vereins höchst professionell. »Bei uns unterrichten nur Musikpädagogen, die speziell für die Arbeit mit Menschen mit Einschränkungen ausgebildet sind«, erklärt Geiger. Ihr ist es besonders wichtig, dass die Teilnehmer gemäß ihren Möglichkeiten gefördert und motiviert werden und die Lehrer auch bei Problemen wissen, wie sie weiter helfen können. Neben körperlich Eingeschränkten kommen zum Trommeln auch psychisch Erkrankte. Kursleiterin Eva Scheder-Voss merkt man sofort an, dass sie die richtige Mischung aus Trommel-Know-how und Motivations- und Einfühlungsvermögen mitbringt. Schon die ersten Willkommensklänge fordern die Teilnehmer, verlangen das richtige Rhythmusgefühl und volle Konzentration. Sofort ist man mitten im Kurs und der Trommelsession angekommen. Congas, Djembén (Bechertrommel) und alle anderen Instrumente werden gestellt. Dank einer Vielzahl ehrenamtlicher Helfer, die Marion Geiger für die Musikkurse gewonnen hat, sind sie griffbereit im Raum vorhanden. Wie sollten Gehbehinderte auch die großen Musikinstrumente aufstellen?

Vielfältige Musikangebote

Außer einem Trommelkurs bietet Aktiv mit Handicap etliche andere Musikkurse für Menschen, die im Münchner Südosten sonst nur wenige Angebote finden. Grundsätzlich sind die Kurse offen für alle Interessenten, beispielsweise auch für Lebenspartner, Angehörige und Freunde. Man braucht keinerlei Vorkenntnisse und kann jederzeit einsteigen. »Wer sich zu uns traut, kann altverschüttete Talente heben und einfach Freude am gemeinsamen Musizieren erleben.« Neben »Lebendig durch Trommeln« ist ein beliebtes Angebot »Singen ohne Barrieren«. Dorothea Leberfinger, die Kantorin der Lutherkirche, leitet den barrierefreien Chor, der einmal im Monat stattfindet. Hier darf man sich auch sein Lieblingslied wünschen. Und keine Angst, Notenkenntnisse sind nicht unbedingt erforderlich. Dafür stärken sich die Sänger vorab in geselliger Runde bei Kaffee und Kuchen. Außerdem beliebt sind »Rhythmische Bewegung mit Musik«. Das sind Körperreisen im Sitzen und Bewegungsgeschichten inklusive Dirty Dancing, Tango und Walzer. Es gibt auch eine Xylophon-Gruppe sowie Chanten und Singen mit Herz. Zum Singen kurzer Texte und Melodien sind auch Menschen eingeladen, die glauben, nicht singen zu können.

Der Kurs ist leistungsfrei und entspannt. Veranstaltungsort ist das barrierefreie ASZ-Obergiesing in der Werinherstraße 79. In einer kleinen Gruppe werden kurze Texte und Melodiefolgen ohne Noten gesungen, die sich mehrmals wiederholen. Dazu kommen leichte Rhythmusübungen auf kleinen Percussion-Instrumenten, bisweilen werden damit die Chants begleitet.

Förderer für den Verein gesucht

Naheliegenderweise können die Kursteilnehmer keine hohen Gebühren aufbringen und trotz viel ehrenamtlichen Engagements hat der Musikverein Ausgaben für Instrumente, Lehrer und anderes. »Aktiv mit Handicap« ist seit 2012 von der Körperschaftsteuer befreit und stellt Spendern und Mitgliedern für ihre Beiträge Quittungen aus. Um seinen Spendern vom Rotary Club auch etwas zurückzugeben, haben Chor-, Xylophon- und Trommelgruppe Anfang Oktober im Gemeindehaus der Kirche aufgespielt.

Weitere Informationen zu den Angeboten findet man auch unter www.aktiv-mit-handicap.de. Neue Musikfreunde, ehrenamtliche Helfer und finanzielle Unterstützer sind sehr willkommen. bus

Artikel vom 14.11.2013
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