Entblößte Versionen

Im Literaturhaus wird am 17. Oktober live übersetzt

Manuela Thurner, Regina Rawlinson und Tanja Handels (v. l.) im Literaturhaus: Dort findet am 17. Oktober eine »gläserne Übersetzung« statt.	Foto: ko

Manuela Thurner, Regina Rawlinson und Tanja Handels (v. l.) im Literaturhaus: Dort findet am 17. Oktober eine »gläserne Übersetzung« statt. Foto: ko

Zentrum · Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie viel an literarischem Genuss eventuell verloren geht, weil man nicht in der Lage ist, etwa Shakespeare im Original zu lesen? Die Qualität eines solchen Werkes steht und fällt ja mit seiner Übersetzung – oder etwa nicht? Die Münchner Übersetzerinnen Regina Rawlinson, Tanja Handels und Manuela Thurner sagen jedenfalls »bei zehn Übersetzern des gleichen Textes hat man hinterher zehn verschiedene Versionen«.

Am Donnerstag, 17. Oktober, können sich Interessierte selbst davon überzeugen, wie Übersetzen »funktioniert«. Im Literaturhaus, Salvatorplatz 1, findet um 20 Uhr in der Bibliothek die Veranstaltung »Der gläserne Übersetzer« statt. Barbara Lehnerer und Bernadette Ott übersetzen live am Computer. Sie arbeiten an ihrem gemeinsamen Werk »A Progression of Fates« von Moriah McStay. Das Publikum kann die entstehende Übersetzung mitlesen und verfolgen, welche Hürden es bei der Arbeit zu überwinden gilt. Im vergangenen Jahr hat der Verein »Münchner Übersetzer-Forum« schon einmal eine solche Veranstaltung organisiert.

Damals haben Tanja Handels, zweite Vorsitzende des Vereins, und die Vereinsschriftführerin, Manuela Thurner, live übersetzt. »Man entblößt sich dabei schon ein wenig«, sagt Vereinsvorsitzende Regina Rawlinson. Das Publikum bekommt einen direkten Einblick in die Arbeitsweise, bei der der Übersetzer ausprobiert, wie er den Weg zu seiner Idealversion der Übersetzung findet. Für Manuela Thurner bedeutet in diesem Fall »entblößen«, dass man sich bei einer solchen Veranstaltung »öffentlich rechtfertigt« für die Entscheidungen, die man hinsichtlich der Übersetzung treffe.

»Übersetzen ist ein erstaunlich intimer Akt«, fügt Tanja Handels hinzu. Es sei ein »Einblick in die eigene Werkstatt« – da sind sich die drei Frauen einig. Rawlinson, Handels und Thurner sind »literarische Übersetzerinnen«, das heißt, sie übersetzen hauptsächlich Belletristik. Und zwar alle drei aus dem Englischen ins Deutsche. Man übersetze immer in seine Muttersprache – alles andere sei zu schwierig, sagen sie. Im Verein sind unter den 128 Mitgliedern vor allem Übersetzer der Sprachen Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Russisch vertreten. Das Netzwerk und der Zusammenhalt innerhalb des Vereins funktioniert gut.

So gut, dass manche Übersetzer aus anderen Städten sehnsüchtig nach München blicken: auf den Austausch der Münchner Übersetzer, die öffentlichen Veranstaltungen und die internen Treffen. Beim Netzwerken und bei den Treffen geht es schon mal um berufspolitische Dinge, wie etwa den Austausch über Honorare. Spannend wird es aber ganz besonders bei den internen Treffen: Da gibt es dann Veranstaltungen wie »Basiswissen für Krimiübersetzer« mit Gästen, etwa einem Gerichtsmediziner, einem Profiler oder einem forensischen Psychiater. Warum? »Viele Leute denken, man müsse nur gut Englisch können, dann funktioniert das mit dem Übersetzen schon«, sagt Rawlinson. So ist das aber ganz und gar nicht.

Wie schmeckt ein Pastramisandwich?

Um den richtigen Ton zu treffen, müssen die Übersetzerinnen ganz tief in den Text eintauchen. Denn zum Beispiel müssen manchmal Fachbegriffe geklärt werden, die in keinem Wörterbuch verzeichnet sind, da sie zu speziell sind. Oder es geht um Themen, mit denen der Übersetzer keine Erfahrung hat oder um etwas, das er schlichtweg nicht kennt: So hat Rawlinson sich in München auf die kulinarische Suche nach einem »Pastramisandwich« begeben, um herauszufinden, wie das schmeckt. Schließlich hatte sie in dem Werk, an dem sie gerade arbeitete, davon gelesen. Bei einem anderen Buch musste sie den Satz »We had a smoothie on the beach« (wörtlich »Wir hatten einen Smoothie am Strand«) übersetzen. Sie kannte den Begriff »Smoo- thie« damals noch nicht. »Ich wusste nicht: Essen die das oder trinken die das«, erzählt Rawlinson lachend.

Und in einem Buch, das Tanja Handels übersetzt hat, ging es in einer Passage um die Übertragung eines American-Football-Spiels im Radio. Von der Sportart hat sie keine Ahnung – und sich für die Übersetzung erst einmal mit American-Football-Spielern hier in München unterhalten. Bei der »gläsernen Übersetzung« im Literaturhaus würde vieles an der Arbeitsweise der Übersetzer ganz schnell klar, sagt Rawlinson. Denn das Publikum würde Fragen stellen, etwa warum jetzt der Nebensatz in der Übersetzung nach vorne gezogen würde oder dass doch dieses und jenes Wort etwas ganz anderes heiße? Da entstehe dann recht bald eine »lebhafte Diskussion«.

Kooperation mit dem Literaturhaus

Der Eintritt zur Veranstaltung ins Literaturhaus am 17. Oktober kostet 9 und 7 Euro. Diese Einnahmen gehen komplett an das Literaturhaus. Die Mitglieder des »Münchner Übersetzer-Forums« sind der Einrichtung zutiefst dankbar: Sie stellt die Räume für die drei bis vier jährlichen Veranstaltungen des Vereins nämlich kostenlos zur Verfügung. Wer mehr über den Verein erfahren oder ihn mit einer Spende unterstützen möchte:

www.muenchner-uebersetzerforum.de, Spendenkonto: Münchner Übersetzer-Forum e.V., Hypobank München, BLZ 700 202 70, Kto-Nr. 5 800 125 393.

Kirsten Ossoinig

Artikel vom 08.10.2013
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