U9: utopisch oder die Lösung beim Fahrgastchaos in Stoßzeiten?

Zentrum/Schwabing · Unfreiwillig kuscheln

Zentrum/Schwabing · Wenn es mal wieder besonders eng wird in der U-Bahn, dann sind manche Fahrer zu flotten Sprüchen aufgelegt: »Jetzt ist Zeit zum Kuscheln, also rückts alle eng zamm«, schallte es neulich aus dem Lautsprecher. Aber Dauer-Kuscheln mit Wildfremden, wer will das schon?

Deshalb wird fieberhaft danach gesucht, die innerstädtischen Überlastungen im öffentlichen Nahverkehr zu reduzieren. Möglicherweise soll es eine neue U-Bahn-Linie richten. SPD-Vizefraktionschefin Claudia Tausend bringt die Linie U9 wieder ins Gespräch, die in knapp sechs Kilometern von der Implerstraße über die Theresienwiese und den Hauptbahnhof bis zur Münchner Freiheit führen soll. Nicht alle jedoch sind davon begeistert. Darunter Berthold Maier und Matthias Hintzen vom Arbeitskreis Attraktiver Nahverkehr (AAN) des »Münchner Forums«. Denn die Finanzierung der U9 sei »völlig ungeklärt«, sagen die beiden. Zumal die Kosten in Höhe von 250 bis 360 Millionen Euro, die momentan genannt werden, »völlig unrealistisch« seien. Und das ist nicht der einzige Kritikpunkt von Maier und Hintzen.

Das Hauptproblem der U9 sei der Bau der Umsteigeanlagen, erklärt Hintzen. An der Implerstraße wäre ein aufwendiger Umbau des bestehenden Bahnhofs erforderlich, am Hauptbahnhof und an der Münchner Freiheit wären neue Bahnhöfe mit aufgrund der baulichen Verhältnisse sehr ungünstigen Umsteigemöglich-keiten zu errichten. »Damit wird die U9 aber ad absurdum geführt, denn eine Entlastungs-U-Bahn müsste ja vom bestehenden Netz aus gut erreicht werden können«, so Hintzen weiter. Statt sich auf weitere Tunnel im Stadtzentrum zu konzentrieren, solle man, so Maier, nun besser auf Querverbindungen und Tangenten setzen. »Das kommt bisher viel zu kurz«, beklagt er. Große Ausnahme sei die im Jahr 2010 eröffnete U3-Verlängerung vom Olympia-zentrum nach Moosach gewesen. »Man muss sich mal vorstellen, die erste Ausnahme seit 1928, seit der Eröffnung der Tramstecke Schwabing-Neuhausen«, sagt Maier. Dabei würden Querverbindungen die Innenstadt erheblich entlasten, unnötige Umsteigefahrten durchs Stadtzentrum entfallen. Das sieht auch Dominik Lypp vom Bund Naturschutz so, der sich ebenfalls gegen eine »völlig überflüssige U9« ausspricht und für den Ausbau von Tangenten plädiert.

Überhaupt, so Maier weiter, warum werde nicht erstmal nach oberirdischen Lösungen gesucht? Auch so eine Frage, die im Raum stehe. Maier versteht nicht, warum diese Alternative, die vor allem auch wesentlich kostengünstiger ist, nicht untersucht werde. »Stattdessen erfolgt sofort eine Festlegung auf die teuerste Lösung – eine neue U-Bahn.« Gerade die Erschließung Schwabings und der Maxvorstadt ließe sich mit einem Wiederaufbau der bis 1971 beziehungsweise 1980 betriebenen Trambahnlinien deutlich billiger bewerkstelligen. Übrigens, die immer wieder ins Gespräch gebrachte Ring-U-Bahn ist schon mehrfach untersucht und jedes Mal wieder verworfen worden. »In einer Stadt der Größe Münchens wäre sie schlicht überdimensioniert«, sagt Hintzen. Es bestehe keine Chance, ihre Baukosten durch ausreichende Fahrgastzahlen zu rechtfertigen.

Doch Alternativen hin oder her, so wie es aktuell aussieht, haben sich die Rathausfraktionen nun auf den Bau der U9 eingeschossen – immerhin wird das Projekt bereits seit 2008 diskutiert. Die CSU halte das Vorhaben für »grundsätzlich sinnvoll«. Dennoch seien andere Ausbauten vorrangiger, etwa die U-Bahn-Verlängerung nach Pasing. Auch von der SPD gibt es ein Ja zur U9. Dieter Reiter, Wirtschaftsreferent und OB-Kandidat dazu: »Die Auslastungsgrenze ist erreicht, deshalb müssen wir diese Linie irgendwie bauen, auch wenn die Finanzierung noch nicht sicher ist«. Werden sich Bund und Freistaat an den Baukosten beteiligen? Oder muss die Stadt die Sache alleine stemmen? Klar ist das auch deshalb nicht, weil 2019 das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) ausläuft, über das erhebliche Zuschüsse für neue U-Bahnen geregelt wurden. Eine Nachfolgeregelung ist bisher nicht in Sicht.

Um das Projekt weiter voranzubringen, hat MVG-Chef Herbert König nun die nächsten Schritte in Gang gebracht. Ingenieurbüros wurden inzwischen angeschrieben, um eine Machbarkeitsstudie zu erstellen. Doch selbst wenn man morgen gleich zu buddeln anfangen würde – fertig wäre die U9 laut Experten wohl frühestens in 20 bis 25 Jahren. Auf eine gewisse Erleichterung darf dennoch schon früher gehofft werden. Ende 2013, zum nächsten Fahrplanwechsel soll, so hat König angekündigt, bei der U-Bahn der Zwei-Minuten-Takt eingeführt werden. Heißt also: Vorbei ist’s dann mit Kuscheln. Hoffentlich. Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 05.03.2013
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...