»Werkstatt für Körperbehinderte« seit gut einem Jahr in Moosach

Moosach · Erfüllung im Beruf

Peter Urban ist schon seit vielen Jahren in der Schreinerei Moosach tätig.	F.: ws

Peter Urban ist schon seit vielen Jahren in der Schreinerei Moosach tätig. F.: ws

Moosach · Rüdiger Gaertner kam drei Monate zu früh auf die Welt. Der 46-Jährige leidet seit dem ersten Tag seines Lebens an den Spätfolgen seiner Frühgeburt und ist auf seiner rechten Körperseite spastisch gelähmt.

In der Schreinerei Moosach, an der Gneisenaustraße 14, findet er Erfüllung im Berufsleben und stellt »Zaunkinder« her. Es ist eine Einrichtung der Stiftung Pfennigparade. Die »Werkstatt für Körperbehinderte« ist seit rund einem Jahr in Moosach ansässig, wurde aber erst kürzlich offiziell eröffnet.

Voller Stolz erzählt Rüdiger Gaertner, dass er den Hauptschulabschluss geschafft habe und dann die Gesellenprüfung als Fräser. Seit Jahren arbeitet er mit zehn Leuten in einer Werkstatt- Gruppe, aufgebaut von der Stiftung Pfennigparade. Zunächst fand die Gruppe Platz im Berufsbildungswerk in Johanneskirchen im Münchner Osten, weil es im Rehabilitationszentrum der Stiftung Pfennigparade selbst in der Barlachstraße am Petuelring keinen Platz für eine weitere Behinderten-Werkstatt gab. Die Räume in Moosach sind modern und hell. Überall stehen Werkzeuge und Maschinen für Holzarbeiten. Rüdiger Gaertner sitzt an einer Werkbank und schleift die »Zaunkinder« glatt. Es sind Figuren aus Holzplatten, die witzige Mädchen und Buben zeigen, und an Gartenzäunen angebracht werden.

Zuvor schneiden Gaertners Kollegen in der Schreinerei Moosach mit Werkstattleiter Christian Karabulut aus einer Spanplatte die Figuren aus. Dann schleift der 46-Jährige sie glatt. Schließlich werden sie ins Rehabilitationszentrum der Pfennigparade in der Barlachstraße transportiert und dort in einer der Behindertenwerkstätten bunt und lustig bemalt: mit lichtechten Acrylfarben und danach mit wetterbeständigem Lack. Jedes Zaunkind ist ein Unikat und daher etwas ganz Besonderes. Unzählige solcher Holzfiguren hat Gaertner schon glattgeschliffen. Aber auch Frühstücksbrettchen verleiht er den letzten Schliff. »Es gefällt mir hier gut«, sagt der gelernte Fräser. Seit fünf Jahren braucht er zum Gehen einen Rollator. Trotzdem hat er bis vor Kurzem ganz alleine in einer Wohnung in Schwabing gelebt. Kürzlich ist er in eine Wohngruppe der Pfennigparade umgezogen. Jeden Morgen bringt ihn ein Fahrdienst in die Schreinerei Moosach.

Peter Urban kommt hingegen selbst mit dem Auto, noch dazu aus Pfaffenhofen. Eine Stunde dauert die Fahrt. Angst hat er keine, obwohl ausgerechnet ein Auto dem 44-Jährigen zum Verhängnis geworden ist. Mit 26 Jahren hatte er nachts um 2 Uhr einen schweren Unfall, überschlug sich mit seinem Wagen. Das war 1993. Damals hatte er gerade sein Studium der Brauwissenschaften abgeschlossen, denn seine Eltern besitzen in Pfaffenhofen eine Brauerei. Der junge Mann lag nach dem Autounfall im Koma, »nach 27 Tagen bin ich aufgewacht«, erzählt Urban. Vier Monate habe es gedauert, bis sein Gedächtnis angefangen habe zu arbeiten. »Ich konnte mich an nichts erinnern.« Fast ein Jahr lag er wegen seiner schweren Verletzungen im Bogenhausener Krankenhaus. Danach war er dort ein halbes Jahr zur ambulanten Tages-Reha. Am Anfang habe er nur mühsam sprechen können.

Jetzt – 19 Jahre später – geht es wieder ganz gut, ab und zu braucht er ein paar Sekunden, bis ihm das passende Wort oder der passende Ausdruck einfällt: »Wortfindungsstörungen« seien das, sagt er. Sein Langzeitgedächtnis habe gelitten, der Autounfall habe zu einem Schlag auf den Kopf geführt. Seitdem leide er an einem Schädelhirntrauma und könne deshalb in seinem Beruf als Braumeister nicht mehr arbeiten. Nun steht er an der Werkbank und flechtet aus Peddigrohr Sitzflächen für Stühle. »Ich kann selbstständig arbeiten«, freut sich Peter Urban. Und »es gefällt mir hier sehr gut«. Um 16 Uhr ist Feierabend. Dann setzt er sich ins Auto und fährt nach Hause. Er hat in Pfaffenhofen eine eigene Wohnung.

Gruppenleiter Christian Karabulut lernt seine Leute in die anfallenden Arbeiten ein. Denn keiner und keine von ihnen sei gelernter Schreiner. Trotzdem werkeln alle eifrig vor sich hin. Es geht nicht nur darum, eine sinnvolle Beschäftigung zu haben, sondern auch um die sozialen Kontakte, um die Integration – und um »die eigene Wertigkeit« der Betroffenen, wie der Werkstattleiter betont. Sie bauen zum Beispiel auch Kleinmöbel wie Regale, DVD-Ständer, Phono-Schränke und Waschbeckenuntertische, auch nach ganz speziellen Maßen. Solch kleinere Aufträge von Privatleuten und Firmen könne die Gruppe selbst bewältigen.

Die »Zaunkinder« kann man im Übrigen kaufen. Sie kosten – je nach Größe – 15 Euro oder mehr und sind im Werkstattladen der Stiftung Pfennigparade an der Barlachstraße am Petuelring erhältlich. Nähere Informationen über die Schreinerei Moosach an der Gneisenaustraße 14 gibt es unter Tel. 45 24 73 94. Wally Schmidt

Artikel vom 31.07.2012
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...