Stadt will bei Minusgraden Bunker für Wohnungslose öffnen

Zentrum · Lösung ohne Würde?

Rudolf Stummvoll hat Bauchschmerzen bei der Bunkerlösung unter Gleis elf am Hauptbahnhof: »Ich rücke den Schlüssel nur im Notfall raus.« Foto: scy/privat

Rudolf Stummvoll hat Bauchschmerzen bei der Bunkerlösung unter Gleis elf am Hauptbahnhof: »Ich rücke den Schlüssel nur im Notfall raus.« Foto: scy/privat

Zentrum · Er hat eine dunkle Strickmütze auf dem Kopf und eine Plastiktüte, in der sind viele leere Flaschen drin. Es ist heiß, sommerlich, trotzdem hat er Husten und Schnupfen, »was man sich eben so einfängt«, sagt er. Er hat einen Namen, den will er nicht sagen, aber er erzählt, dass es ihm jetzt schon vor dem Winter graut. »Man weiß ja nie, ob man nicht doch abkratzt«, brummelt der Mann, der seit bald drei Jahren auf der Straße lebt.

Angst vor Frosttemperaturen hat nicht nur er, rund 550 Obdachlose leben mittlerweile in München auf der Straße. Wenn es in den kalten Monaten besonders hart kommt, muss also eine Lösung her. Und die heißt: Öffnung des Luftschutzbunkers unter dem Hauptbahnhof. »Das aber nur im alleräußersten Notfall«, erklärt Rudolf Stummvoll, Chef des Münchner Wohnungsamtes. »Am liebsten aber wäre mir, ich müsste den Schlüssel nicht rausrücken.« Denn diese Möglichkeit der Unterbringung sei nicht das, was man anbieten wolle. »Es geht um Würde«, sagt Stummvoll. »In einem Bunker zu schlafen, das will man niemandem zumuten.«

Und so hofft auch er auf einen möglichst milden Winter, denn dann würde man die Bunker-Option gar nicht erst in Betracht ziehen müssen. Doch wer weiß schon, was München in den Bibber-Monaten erwartet? Wer kann das schon voraussehen? Man konnte es ja auch nicht in diesem Jahr, da fiel das Thermometer runter auf arg bedrohliche Minusgrade – und es gab deshalb viel zu tun für Stummvoll und seine Mitarbeiter. »Wir sind durch die Straßen und haben reihenweise die Leute eingesammelt, damit uns da draußen niemand erfriert«, erzählt er. »Da ging es um Leib und Leben.« Man habe alles angenommen an Hotelplätzen, was zu kriegen gewesen sei. Alles Hotels, und auch Pensionen und Wohnheime, mit denen das Wohnungsamt Verträge geschlossen hat, bei Bedarf Betten anzumieten. »Wir schöpfen alle unsere Möglichkeiten aus«, sagt der Leiter des Wohnungsamtes. Kein leichtes Unterfangen, das Ende der Kapazitäten ist längst schon erreicht, doch die Obdachlosen werden nicht weniger, im Gegenteil. »München hat einen Zuzug, der sich gewaschen hat«, sagt Stummvoll. Und, klar, nicht jeder würde automatisch auf der Sonnenseite des Lebens stehen, nur weil er hier leben wolle. »Man hat halt jetzt den Bunker rausgekramt, weil man sich momentan nicht anders zu helfen weiß«, so Stummvoll. »Das zeigt, wie dramatisch die Situation ist.« Gut 1.000 Quadratmeter ist der Bunker groß, er befindet sich unter Gleis elf, damals, in den 60er-Jahren diente er Gastarbeitern als Durchgangsstation. Wenn im Notfall dort wohnungslose Menschen übernachten müssen, werden Betten aufgestellt, rund 140 Leute finden dann dort Platz.

Im Laufe der kommenden Jahre wird sich nach Schätzungen des Wohnungsamtes die Lage noch drastisch verschlimmern. Zum einen seien da die schwindelerregend hohen Mieten, die Zahl der bezahlbaren Wohnungen werde immer weniger. Sogar der soziale Wohnungsbau sei, so Stummvoll, »geschmolzen wie Butter in der Sonne«: Im Vergleich zu den Vorjahren seien es 2011 rund 1.000 Sozialwohnungen weniger gewesen. Und das alles bei einem jährlichen Zuzug von 11.000 Menschen. Immer mehr davon sind Migranten, vor allem aus Osteuropa. Neben dem immensen Zuwachs an obdachlosen Menschen, gibt es eine weitere beängstigende Entwicklung. Auch die Zahl der akut Wohnungslosen ist inzwischen alarmierend: Rund 3.000 Menschen sind betroffen, darunter 800 Kinder. »Noch nie waren die Zahlen so hoch«, berichtet Stummvoll. Wohnungslose Menschen müssen zwar nicht auf der Straße leben, doch sie haben keine feste Wohnung mit Mietvertrag. Deshalb werden sie vorübergehend dort untergebracht, wo gerade Platz ist, in Pensionen und Notunterkünften.

Und dort bleiben sie inzwischen länger als je zuvor, die Verweildauer ist im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gestiegen. Das Konzept der Stadt München »Wohnen statt unterbringen« ist ein wichtiges, ein notwendiges Ziel. »Doch es wird immer schwerer, es zu realisieren«, so Stummvoll. Da gebe es nichts zum Schönreden.

Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 17.07.2012
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