Lektoren in Sankt Ludwig: Aus der Heiligen Schrift lesen

Zentrum · Biblisches »Hobby«

Ein bisschen Aufregung ist schon dabei, wenn Susanne Bauer, Andreas Höder und Ingrid Bader (v.l.) in Sankt Ludwig aus der Bibel lesen.	Foto: scy

Ein bisschen Aufregung ist schon dabei, wenn Susanne Bauer, Andreas Höder und Ingrid Bader (v.l.) in Sankt Ludwig aus der Bibel lesen. Foto: scy

Zentrum · Ingrid Bader staunt noch immer. Sie kann es irgendwie nicht fassen. »Früher hätt’s das ja nicht gegeben«, sagt die sympathische ältere Dame. Heute ist sie als Lektorin tätig, liest während der Gottesdienste aus der Bibel vor, ganz selbstverständlich – etwas, von dem sie als junge Frau, Jahrzehnte ist das her, nur träumen konnte. »Ich wollte das immer, ich durfte aber nicht, nur die Männer, die durften«, erzählt sie.

Diese Zeiten sind tatsächlich vorbei. Ob männlich, ob weiblich, ob jung, ob alt – in der Pfarrgemeinde Sankt Ludwig dürfen alle Katholiken, die das wollen, ein Lektorenamt übernehmen. Neun Ehrenamtliche sind aktuell dabei, Neueinsteiger immer gesucht. »Wir sind eine offene Gemeinde und freuen uns über jeden, der sich zu dieser Aufgabe berufen fühlt«, sagt Pastoralreferentin Susanne Bauer. Andreas Höder zum Beispiel. Seit einem Jahr ist er dabei, Susanne Bauer sprach ihn an, ob er sich denn nicht vorstellen könne, in den Lektorendienst zu treten. »Das hat mich sofort gefreut«, berichtet der Familienvater. Früher sei er Ministrant gewesen, dann, während des Studiums habe er mit der Kirche nur wenig am Hut gehabt. Durch die Taufe seiner Tochter kam er in Kontakt mit Sankt Ludwig und seinem Glauben wieder näher. »Es gibt viele Texte in der Bibel, die ich mit großer Begeisterung lese. Es ist schön, dass ich diese Begeisterung an die Gottesdienstbesucher weitergeben kann«, sagt Höder. Sicher, eine ungewöhnliche Freizeitbeschäftigung – wenn man es denn so nennen kann – ist der Lektorendienst schon. Andere gehen Bergwandern, machen Yoga oder joggen durch den Englischen Garten. Manchmal wird Höder von Freunden gefragt, ob es denn nicht langweilig sei, in der Kirche vorzulesen.

»Gottesdienst ist keine Pflichtübung«, sagt er. »Man macht das ja für sich, man tut sich selbst etwas Gutes.« Es gäbe doch sonst, im Alltag, im Job, kaum noch die Möglichkeit, sich ernsthaft mit den wesentlichen Fragen des Lebens zu beschäftigen. »Die Bibel aber, die führt einen dahin.« Aus der Heiligen Schrift vorzulesen, das macht man nicht eben mal so, dazu braucht es Vorbereitung. Höder liest sich zuhause die Texte selbst halblaut vor, überlegt genau, wie welche Stelle zu betonen ist und setzt sich mit Passagen, die nicht so eingängig sind, intensiv auseinander. »Ich muss die Aussage verstehen, bevor ich sie weitergeben kann«, so Höder. Und es gehe auch darum, für sich selbst herauszufinden, was einem die Bibelstelle persönlich bedeutet. Die zentrale Frage lautet: Was hat die Heilige Schrift mit meinem Leben zu tun? Ein bisschen aufgeregt, das ist er immer, wenn er den Altarraum betritt. Auch In­grid Bader geht es so, und das, obwohl sie sich seit Jahrzehnten schon als Lektorin engagiert. Manche Passagen kann sie längst auswendig, doch Routine, nein, Routine komme nicht auf. »Es ist jedes Mal wieder etwas Besonderes«, sagt sie. »Dass ich das tun kann, ich kleiner Mensch, dass ich da im Zentrum der Kirche stehe und der ganzen Gemeinde das Wort Gottes vortragen darf, ist eine Ehre, vor allem auch bei Hochfesten wie beispielsweise in der Osternacht.«

Sich auf die Texte einlassen

Wenn sich Bader auf eine Lesung vorbereitet, dann setzt sie sich zuhause hin, zündet Kerzen an, geht in die Begegnung mit den Texten, lässt sich darauf ein. »Sie rühren etwas an in mir, und darauf kommt es an«, erklärt Bader. »Denn was mich berührt, das wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch die anderen berühren.« Natürlich, wer bereits Erfahrung damit hat, Texte vorzutragen, wer Redner ist oder Schauspieler, der tut sich leichter. Doch komme es nicht, so Susanne Bauer, auf eine »große Show« an. »Es ist nicht die Frage, wie oft habe ich Blickkontakt oder wohin drehe ich mich. Viel wichtiger ist, zu vermitteln, dass im Text etwas drinnen steht, das andere unbedingt hören sollen.« Die innere Haltung, die komme von selbst, die könne man nicht lernen. Alles andere, die Betonung, die Lautstärke der Stimme, das übe man in den hausinternen Einführungskursen. Zum ersten Treffen bringen die Interessierten Texte mit, von denen sie glauben, sie gut vorlesen zu können. Dazu gibt es dann Feedback und Austausch, auch bei den Folgetreffen. Und dann geht es meistens ganz schnell. Nach gut 14 Tagen steht schon die erste Lesung in einem Gottesdienst an. »Das dauert dann meist eine gewisse Zeit, bis man sich an das Vortragen in einem Kirchenraum gewöhnt«, weiß Bauer. Die Lektoren bleiben auch weiterhin nicht sich selbst überlassen, man trifft sich regelmäßig zum gemeinsamen Austausch über das Wort Gottes und den Dienst in der Liturgie. Bei Interesse gibt es auch die Möglichkeit, einen Grundkurs für den Lektorendienst bei der Erzdiözese zu besuchen. Wie viel Zeit man investieren möchte, bleibt jedem selbst überlassen. Jeden Monat wird ein neuer Plan erstellt, jeder trägt sich ein, wann er lesen möchte, ob bei Werktagsgottesdiensten oder an den Sonntagen, ob zweimal im Monat oder auch mehrmals die Woche. Auch wer nicht aus der Pfarrgemeinde kommt, kann sich engagieren. »In unserem Glauben sind wir alle verbunden«, sagt Bauer. Und in der Auseinandersetzung mit der Bibel, in der Übernahme eines Lektorendienstes könne man seinen Glauben vertiefen – oder wieder näher kommen, so wie es Andreas Höder ergangen ist. Der nun bereitet sich dieser Tage auf die Lesung an Fronleichnam vor.

Aufregung und Vorfreude

Bei gutem Wetter wird am 7. Juni ab 8 Uhr eine Eucharistiefeier mit Kardinal Reinhard Marx auf dem Marienplatz stattfinden, anschließend die Stadtprozession. Bei schlechtem Wetter wird die Feiertagsordnung in Sankt Ludwig abgehalten. »Und ich werde ein bisschen aufgeregt sein, so wie immer«, sagt Höder. »Vor allem aber freue ich mich darauf.« Wer sich für den Lektorendienst interessiert, erhält weitere Informationen unter Telefon 2 87 79 90 und im Internet unter www.st-ludwig-muenchen.de. Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 05.06.2012
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...