Rechtsextreme in München: Neuer Verein will aufklären

München · Letzter Ausweg: Ausstieg

„Meine Eltern haben während meiner Zeit in der rechtsextremen Szene verzweifelt versucht, den Kontakt zu halten. Das war eine schlimme Zeit für sie“, sagt Aussteiger Felix Benneckenstein. Foto: ms

„Meine Eltern haben während meiner Zeit in der rechtsextremen Szene verzweifelt versucht, den Kontakt zu halten. Das war eine schlimme Zeit für sie“, sagt Aussteiger Felix Benneckenstein. Foto: ms

München · „Es reicht nicht, einfach nicht mehr hinzugehen, man muss damit brechen, selbst aktiv sein und dazu braucht es Unterstützung von außen“, sagt Felix Benneckenstein. Vor allem wenn man nicht nur Mitläufer war oder einfaches Parteimitglied.

Der 25-jährige Münchner spielte insgesamt rund zehn Jahre in der rechtsextremen Szene Deutschlands eine zentrale Rolle. Er hat unter anderem die Kameradschaft in Erding begründet und geleitet und war als „nationaler Liedermacher“ deutschlandweit bekannt und damit wichtiges Element der rechtsextremen Propaganda. 2010 verließ er die Szene endgültig. Und hat jetzt mit anderen Aussteigern in München die „Aussteigerhilfe Bayern“ gegründet, die unterstützt wird von „EXIT Deutschland“ und dem Bayerischen Bündnis für Toleranz, begründet von der evangelischen und katholischen Kirche. „Während des Ausstiegs wurde mir deutlich, dass es in Bayern an Personen fehlt, die sich mit fundiertem Szenewissen, ohne Eigeninteressen, um Abtrünnige kümmern und diese im Ausstiegsprozess begleiten“, erklärt Benneckenstein, der derzeit eine Ausbildung macht. „Durch die Vereinsarbeit fällt es mir persönlich auch leichter, meine Vergangenheit aufzuarbeiten.“

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Die Aussteigerhilfe Bayern will zivilrechtlicher Ansprechpartner sein auch für betroffene Familien und Freunde und für pädagogische Einrichtungen – „aber keine Konkurrenz zum staatlichen Aussteigerprogramm der Bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE), das zum Landesamt für Verfassungsschutz gehört und in der Knorrstraße 139 in Milbertshofen sitzt. „In der Regel sind es jüngere Menschen, die aussteigen wollen, da die rechtsextreme Szene ihre Leute oft mit 15, 16 Jahren rekrutiert“, sagt Pressesprecher Michael Feiler. „In dem Alter wissen viele noch nicht, worauf sie sich einlassen und was das später für Konsequenzen haben kann.“ Aber auch jahrzehntelange Anhänger wollen aussteigen, „oft nach persönlichen Lebenskrisen“.

Die neue Aussteigerhilfe will Feiler nicht bewerten oder vergleichen, „das machen wir grundsätzlich nicht“, aber beim Landesamt würden bei Bedarf auch direkte Kontakte zu Jugendamt, Sozialbehörde, zu Arbeitsvermittlung oder Bewährungshelfer geknüpft. „Eine Vorzugsbehandlung gibt es nicht“, betont Feiler. Derzeit betreut das Landesamt 15 Aussteiger. 80 haben es seit dem Start des Angebots im Februar 2001 erfolgreich geschafft. Insgesamt nutzten etwa 500 Personen das Beratungstelefon zur ersten Kontaktaufnahme. 160 davon baten um Beratung für einen Ausstieg so Feiler, darunter meist besorgte Eltern und Aussteiger selbst. In München gibt es laut Landesamt im Moment 100 Parteimitglieder sowie 80 Neonazis und 50 rechtsextreme Skinheads. Zum Vergleich: Rund 290 Mitglieder rechtsextremistischer Parteien zählt die Behörde In Oberbayern, ohne München.

Die Landeshauptstadt sei aber keine rechte Hochburg: „München ist halt die größte Stadt Bayerns und die Szene ist in Ballungsräumen in der Regel aktiver als auf dem Land. „Demos und Mahnwachen am Marienplatz etwa haben nun mal die meiste mediale Aufmerksamkeit“ – und darum gehe es den Rechtsextremen. Einige führende Rechtsextreme wohnen zudem in oder bei München, das sage aber nichts über die politische Gesinnung der Bewohner einer Stadt oder eines Stadtviertels aus. „Die Szene wird bestimmt von den Aktivitäten von einzelnen Führungspersonen, die auf viele Anhänger eine starke Anziehungskraft ausüben. So kann es passieren, dass der Wohnort eines führenden Rechtsextremisten zur Überraschung der anderen Einwohner und der Stadtverwaltung plötzlich zum Schwerpunkt rechtsextremistischer Aktivitäten, wie Demonstrationen oder Flugblattverteilungen wird.

Die Wahlergebnisse der NPD-nahen „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ (BIA München) gäben ein laut Feiler „realistisches Bild“ von der Bedeutung ab: 1,4 Prozent bei der letzten Stadtratswahl am 2. März 2008 „sind wenig, aber immer noch zu viel“, sagt der Politikwissenschaftler Feiler. Im Auge behalten ist deshalb die Devise des Landesamtes. Das gilt im übrigen auch für Linksextremismus, Scientology oder Islamismus – alle Personen und Gruppen, die versuchen „die demokratische Grundordnung anzugreifen oder ideologisch zu unterwandern“ stehen im Fokus der Behörde. Vom islamischen Extremismus, so Feiler, gehe „nach wie vor eine große Gefahr aus, so etwas wie in Toulouse kann auch bei uns passieren.“ Von Michaela Schmid

Kontakt zum Aussteigerprogramm der staatlichen Bayerischen Stelle gegen Rechtsextremismus:

Tel. 089/2192 2767 oder E-Mail: Aussteigerprogramm@lfv.bayern.de; Bürgertelefon für Fragen: 0 89/21 92 21 92 oder www.bayern-gegen-rechtsextremismus.de.

Mehr zum neuen Verein Aussteigerhilfe Bayern unter www.aussteigerhilfe.de oder E-Mail info@aussteigerhilfe.de. Jeden Dienstag (außer Feiertag!) bietet der Verein von 17.30 bis 18.30 Uhr eine Telefonsprechstunde: unter 01 74/8 33 43 36. Außerhalb dieser Zeiten kann man auf der Mailbox eine Nachricht hinterlassen. Sie wird laufend abgehört.

Artikel vom 12.04.2012
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