Albrecht Ackerland im Münchner SamstagsBlatt über Kneipensterben, loungige Cafes und Wahlkampfthemen

München · Da schau her! „Das Boaznsterben”

München · Jetzt wollen‘s doch tatsächlich der Gerti den Garaus machen. Dabei tut sie doch so viel für die Stadt, die Menschen, den Zusammenhalt, die Stimmung in einer Zeit, die ja immer kälter wird.

Aber von vorn. Die Gerti ist die Wirtin von der Fraunhofer Schoppenstube. Das ist ein Spätlokal und stammt aus einer Zeit, als es noch Spätlokale und eine Sperrstunde gab. Wenn alle anderen schon zumachen mussten, hatte die Gerti noch auf. Meistens ist das heute noch so, weil jeder normale Mensch hat nach vier Bier genug und geht ins Bett.

Nicht so Gertis Gäste. Sie zögert sozusagen die Zeit hinaus. Bei ihr geht alles langsamer, könnte man sagen, das sieht man ihrem Lokal an, so altbacken wie es ausschaut. Es kommt aber noch besser. Jeden Abend zwingt sie allen Ernstes ihre Gäste dazu, Lieder wie das von der Reeperbahn zu singen. Oder „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“, ein Lied das als Gertis Motto gelten darf, allerspätestens seit kürzlich sogar ein Dokumentarfilm über ihr Lokal im Kino läuft. Da können sich dann die Stammgäste selbst beim Trinken zuschauen und albernen Schmarrn mitsingen. Und Stammgäste gibt es viele, der Laden ist ein Schmelztiegel aus Übriggebliebenen. Und ein prominenter Krimischauspieler schaut auch sehr, sehr regelmäßig vorbei. Das alles zusammengefasst ist dann: Kult. Von Kult mag die Gerti freilich nichts wissen, von ihren Stammgästen dafür um so mehr.

Mit all dem soll jetzt Schluss sein. Die Besitzer des Hauses haben angekündigt, die Gerti zum Jahresende rausschmeißen zu wollen. Seit 39 Jahren ist die Gerti Wirtin der Schoppenstube, die übrigens nichts zu tun hat mit einer klassischen Münchner Boazn. Dafür ist die Gerti viel zu diktatorisch im Dienst der guten Laune unterwegs. Und zwingt eben jeden Abend ihre Gäste, ein Requiem mit Schlagern für ihren Mann Werner zu halten, der vor ein paar Jahren gestorben ist, was für viele sehr traurig gewesen sein muss.

Jetzt regt sich schon Widerstand. Würde mich schon arg wundern, wenn das Kneipensterben an sich nicht Thema im Wahlkampf zur OB-Wahl wird. Der naht bekanntlich. Mir tut jetzt schon der Schädel weh davon. Wird Zeit, dass bei der Gerti ein loungiges Cafe reinkommt – mit echtem Glockenbachflair. Pfui Teufel.

Artikel vom 12.04.2012
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