Tatsächlicher Grund für den dramatischen Zustand liege 90 Jahre zurück

Hallbergmoos · Eis-Alarm an der Goldach

Nach dem Einsatz der schweren Bagger fließt die Goldach wieder in ihren Bahnen (o.). Berge aus dicken Eisplatten lagern an vielen Stellen im Hallbergmooser Gemeindegebiet (r.).	Fotos: bb

Nach dem Einsatz der schweren Bagger fließt die Goldach wieder in ihren Bahnen (o.). Berge aus dicken Eisplatten lagern an vielen Stellen im Hallbergmooser Gemeindegebiet (r.). Fotos: bb

Hallbergmoos · Die tiefen Minusgrade seit zwei Wochen haben an der Goldach in Hallbergmoos beinahe zu einer Katastrophe geführt.

Genügte vor einer Woche noch das Lösen einzelner, größerer Eisschollen, so fror der Bach vergangene Woche kilometerweit vom südlichen Ortseingang bis zur Maximilianstraße immer dicker zu. Die sich teilweise bis zu 50 Zentimeter auftürmenden Eisschollen stauten das Wasser immer höher, mehrere Keller waren vollgelaufen, am Fußweg an der Goldach sowie in der Straße »Am Bach« trat der Bach über seine Ufer, musste die Straße gesperrt werden. Bürgermeister Klaus Stallmeister lobte nach der ersten Aktion noch die Zusammenarbeit von Wasserwirtschaftsamt, Feuerwehr, Bauhof und der Firma Wurzer.

Doch ein paar Tage später war eine Nachtaktion von 30, 40 beherzten Männern nötig. »Nur dadurch, dass hier alle Hand in Hand und mit schwerem Gerät zusammengearbeitet haben, konnten wir eine kleine Katastrophe, zumindest aber eine großflächige Überschwemmung verhindern«, konstatierte der sichtlich erleichterte Rathaus-Leiter Herbert Kestler, der die ganze Aktion koordiniert hatte. Im Gemeinderat waren sich die Alteingesessenen noch einig, dass es so etwas noch nie gegeben habe. »Schuld daran ist aus meiner Sicht ganz klar der Energiekonzern E.ON, die haben im Sommer große Steine und Felsen in die Goldach südlich von Hallbergmoos geworfen, dadurch ist der Fluss langsamer geworden und dadurch friert jetzt alles ein«, war sich Gemeinderat Günter Rottmeier (Einigkeit) sicher.

E.ON bestätigt zwar, dass das Unternehmen Inhaberin der Fischereirechte an der Goldach ist, die an einen Dritten verpachtet seien. Um das Gewässer als Fischgewässer ökologisch aufzuwerten und den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie gerecht zu werden, habe E.ON auf Bitte der Fischerei einen vorhandenen Sohlabsturz, was ein quer zur Strömungsrichtung verlaufendes Regelbauwerk ist, das seine Tiefen­erosion vermindert, durch eine für Fische und andere Wasserlebewesen durchgängige Sohlrampe ersetzt. Bei einer Sohlrampe handelt es sich übrigens grundsätzlich um die Überwindung eines Höhenunterschiedes.

Durch die eingebrachten Felsen und Steine seien aber weder die Wasserspiegellagen noch die Fließgeschwindigkeit der Goldach in irgendeiner Weise verändert worden, so der Konzern. E.ON wäre also nicht Schuld. Und auch nicht das Wasserwirtschaftsamt, wie betroffene Anwohner vermuteten. Denn es hätte immer mal wieder einen größeren Schwung Wasser aus dem Speichersee Ismaning in die Goldach abgelassen und so den extremen Wasserhochstand ausgelöst. Diese Annahme sei aber falsch, da die Goldach nämlich gar kein Wasser direkt aus dem Speichersee bekomme, sondern lediglich »Sickerwasser«.

Der tatsächliche Grund für das Zufrieren der Goldach liege – wie jetzt vermutet – hingegen rund 90 Jahre zurück. Damals sei zum Bau des Speichersees sowie des Mittleren Isarkanals das natürliche Bett der Goldach unterbrochen und stark verändert worden. Dadurch habe der Bach keine Verbindung mehr zum Grundwasser, welches immer wärmer als null Grad ist und niemals gefriert. Weil die Goldach aber jede Menge Schwebstoffe (mineralische und organische Feststoffe) mit sich führe, wird sie nach unten einigermaßen gut abgedichtet. Diese gute Isolierung begünstige die Bildung von Grundeis, der Fluss friert von unten her zu.

Grundeis entstehe nach Auskunft des Wasserwirtschaftsamtes, wenn der Boden bei sehr langem und anhaltendem Frost tiefgründig gefriert und dann auch in der Gewässersohle Minustemperaturen erreicht werden. Voraussetzung sei, dass keine Verbindung zwischen dem Bach und dem Grundwasser besteht. »Und die Goldach hat eben keinerlei Verbindung zum Grundwasser und der Boden ist tief gefroren«, erläutert Herbert Kestler. Wenn Grundeis nicht bekämpft wird, verringere es den Bachquerschnitt und verdränge schlussendlich das Gewässer aus seinem Bett. Das Wasser könne so über die Ufer treten und es kommt zu großflächigen Überschwemmungen.

Exakt dieser Fall war jetzt bei der Goldach einge­-treten. Am Mittwochabend schwappte das Wasser unter anderem im Bereich Weidenweg über die Ufer. Innerhalb weniger Stunden war der Wasserstand um über 50 Zentimeter gestiegen. Eine Lösung war jetzt nur noch mit ganz schwerem Gerät möglich. Neben vielen Baggern und zahlreichen fleißigen Händen mit Schaufeln, Hacken und Sägen war die Rettung der Steigbagger. Josef Stegschuster junior arbeitete damit den ganzen Abend und fast die ganze Nacht durch, musste sogar am nächsten Morgen noch einmal ran. »Wir sind zurzeit Tag und Nacht im Einsatz und lösen die Eisschollen auf den Bächen und vor allem auch das Grundeis«, so Stegschuster. Wo es ging, fuhr er mit seinem 250.000-Euro Koloss in die Goldach, zertrümmerte mit dem Hydraulik-Arm das Eis und löste es.

Ein Großteil der tonnenschweren Platten wurden mit anderen Baggern aus dem Fluss gehoben und entlang des Goldach Fußwegs, am Schlittenberg und auf dem alten Volksfestplatz abgeladen. Ein Teil der Eisbrocken floss aber ab, trieb Richtung Flughafen und staute sich am Flughafenzaun im Bereich Panavia und Ludwigstraße. Dadurch trat hier die Goldach teilweise über das Ufer und floss in angrenzende landwirtschaftliche Grundstücke.

»Es gab ja auch viele Anwohner die vorschlugen, die Wassermenge der Goldach zu drosseln um die Überschwemmungen abzuwenden. Auf Anraten von Fachleuten haben wir das nicht gemacht, weil dadurch ein totales Einfrieren der Goldach möglich gewesen wäre, zum anderen hätte sich das auch für die Kläranlage erschwerend ausgewirkt, weil für die Einleitung des geklärten Abwassers in den Vorfluter ein Durchfluss von mindestens 200 Liter pro Sekunde erforderlich ist und wir eh schon auf niedrigen 300 Liter pro Sekunde sind«, so Herbert Kestler.

Mit vereinten Kräften konnte die Überschwemmung abgewendet werden, wobei allen Beteiligten ein Rätsel ist, warum die Goldach entlang der Kochstraße überhaupt nicht gefror. »Ob da jemand etwas einleitet oder woran das liegt, das werden wir im Frühjahr sehr genau prüfen«, versprach Kestler. bb

Artikel vom 14.02.2012
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