Pestalozzistraße: Graffitis sprießen wie Unkraut – an Wänden

Zentrum · Da hört der Spaß auf

Joschko Ruppersberg, Helen Lipp, Dominik Simper und Martin Winkelmann (v. l.) sind genervt von wild gesprühten Graffitis.	Foto: scy

Joschko Ruppersberg, Helen Lipp, Dominik Simper und Martin Winkelmann (v. l.) sind genervt von wild gesprühten Graffitis. Foto: scy

Zentrum · Seit mindestens zehn Jahren geht das jetzt schon so: Graffiti-Schmierereien am Anwesen Pestalozzistraße 42 bis 50. Doch jetzt ist das Fass zum Überlaufen gebracht.

»Neuerdings werden Parolen auf unsere 100 Jahre alten Eingangstüren gesprüht«, berichtet Hausverwalter und Besitzer Martin Winkelmann. »Da hört der Spaß einfach auf.« Denn anders als auf Häuserwänden können antike Türen nicht eben mal überstrichen werden. »Der Vorgang ist aufwändig, das Ergebnis mehr als unbefriedigend«, so Winkler. Auch wenn er weiß, dass es ein frommer Wunsch ist, so hofft er dennoch, an die Vernunft der Sprayer appellieren zu können.

»Verschont uns«, so seine dringende Bitte. In Mitleidenschaft gezogen sind auch die nahen Nachbarn, das Stammheim der Pfadfindergruppe Pegasus, Hausnummer 62. »Die Probleme mit Graffiti reißen nicht ab«, erzählt Pfadfinder Joschko Ruppersberg. Im Gegenteil, es werde immer schlimmer. »Auf unseren Wänden toben sich radikale politische Gruppen aus, linke Gruppierungen ebenso wie rechte.« X-Mal schon haben Martin Winkelmann und die Pfadfinder zu Pinsel und Farbe gegriffen, um die Schriftzüge zu entfernen, doch schon bald sind wieder neue Sprühspuren zu finden. Also rückt man wieder an und wieder, um der Sache Herr zu werden.

Doch es scheint wie bei dem griechischen Sagenhelden Sisyphos zu sein, der einen Stein auf einen Berg hinaufrollt, der ihm aber kurz vor dem Gipfel entgleitet, so dass er wieder von vorne anfangen muss. Vergebene Liebesmüh sozusagen. »Man hat das Gefühl, das hört nicht mehr auf, wenn es erstmal angefangen hat«, klagt auch Winkelmann. Mit dieser Sache steht er nicht allein, wie Alexander Miklosy, Chef des Bezirksausschusses (BA) Isarvorstadt-Ludwigsvorstadt bestätigt: Die Graffiti-Problematik beschäftige die Bewohner im Viertel sehr stark. »Hart treffen willkürliche Besprühungen vor allem die Hausbesitzer, die an den Brennpunkten, wie beispielsweise im Glockenbachviertel, kaum mit Renovierungsaktionen nachkommen.«

Bedenklich findet der Politiker »Wildplakatierungen«, da diese die Hemmschwelle durch den Eindruck der »Unordnung« senken und zu Graffiti regelrecht animieren würden. Trotzdem würde unterschieden: »Schmierereien werden strikt abgelehnt, während die Flächen, an denen dies als Kunstform zelebriert wird, bewundernde Blicke ernten.« Auch in der Insider-Szene gibt es eine strikte Trennung – politisch Motivierte gegen Künstler, die ihre Graffiti-Werke als »Street Art« betiteln.

Es gelingt kaum, die Täter in flagranti zu erwischen. Heißt, nur selten können die Verursacher selbst zur Rechenschaft gezogen werden. Deshalb muss die Stadt handeln. Das Baureferat ­beseitigt unerlaubte Verunreinigungen an Gebäuden und öffentlichen Einrichtungen entweder mit eigenem Personal oder mit Hilfe von Spezialfirmen. Auch hier wird nach dem Inhalt der Graffiti unterschieden. »Obszöne, politische oder beleidigende Inhalte werden unverzüglich entfernt«, sagt Cornelia Unterhuber vom Baureferat.

Legale Sprühflächen schaffen

Doch es wird nicht erst reagiert, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Längst gibt es auch Maßnahmen, die die Situation von anderer Seite anpacken. Nach einem Beschluss des Stadtrates im Jahr 1988 wurden bereits erste Erfahrungen mit der Freigabe von Unterführungswänden für Graffiti-Sprayer gemacht. »Das Ergebnis war so positiv, dass bis heute weitere Bauwerke ausgesucht werden, die sich wegen dauernder Verunreinigungen besonders für genehmigte Graffiti-Bilder anbieten«, so Unterhuber.

Bilder, deren Motive vor der Ausführung mit dem Baureferat abgestimmt sind, würden in aller Regel unangetastet bleiben und würden nicht überschmiert. Weiterhin gibt es Kooperationen mit gemeinnützigen Organisationen. »Täter werden so einerseits mit den Folgen ihrer Taten konfrontiert und müssen andererseits aktiv an der oft aufwändigen Beseitigung der Schäden mitwirken«, erklärt Unterhuber. Diese Art der Zusammenarbeit sei erfolgreich, habe Vorbildcharakter und werde fortgesetzt. Und auch wenn an einzelnen Gebäuden die Schmierereien deutlich mehr werden, so sei die Tendenz münchenweit anders: »Eine Zunahme der verschmierten Flächen in unserem Zuständigkeitsbereich ist nicht zu verzeichnen.« Und wenn, dann würden Graffiti-Attacken vor allem auf Straßenschilder und Parkscheinautomaten zielen. Fakten, die die Leidtragenden an der Pestalozzistraße leider auch nicht weiter bringen. Joschko Ruppersberg findet besonders bedenklich, wenn regelmäßig radikale politische Parolen aufgesprüht werden. »Hinter diesen Äußerungen stehen wir Pfadfinder nicht und wollen damit auch nicht in Verbindung gebracht werden«, sagt er. Zu den »Klassikern« zählt inzwischen »Antifa« – eine Abkürzung für »Antifaschisten«.

»Man kann ja kaum mehr eine Straße entlang laufen, ohne dass das da steht«, sagen die Pfadfinder Helen Lipp und Dominik Simper. Manchmal werden die Parolen von Straßenarbeitern entfernt, da das Pfadfinderheim eine städtische Einrichtung ist, oft aber kümmern sich die Pfadfinder selbst drum.

Besser selber sprayen

Unter anderem haben sie an einer Wand sogar selbst ein Graffiti-Werk aufgesprüht. »Besser so, bevor andere das tun«, sagt Ruppersberg. Nachbar Martin Winkelmann macht allerdings selbst das Bauchschmerzen. »Mir wäre es liebe, wenn die Wand so ›unschuldig‹ wäre wie früher«, sagt er. Er hat Angst, dass Graffiti erst recht zu Graffiti einladen würde, egal wie künstlerisch wertvoll die Sprühwerke seien. »Auf jeden Fall kann ich einfach keine Schmierereien mehr sehen.« Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 07.02.2012
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