Seniorentreff-Projekt sorgt für »mehr Leben in der Bude«

Zentrum · »Wohnen für Hilfe«

Senioren und Studenten unter einem Dach, vor allem in der Innenstadt: Brigitte Tauer (l.), hier mit Satik Aghekyan, kümmert sich um »Wohnen für Hilfe«.	 scy

Senioren und Studenten unter einem Dach, vor allem in der Innenstadt: Brigitte Tauer (l.), hier mit Satik Aghekyan, kümmert sich um »Wohnen für Hilfe«. scy

Zentrum · Immer wieder kommen Dankesbriefe aus aller Welt. »Es war so schön bei Ihnen«, schrieb beispielsweise eine peruanische Studentin der Zahnmedizin. »Ich hoffe, ich darf Sie bald wieder besuchen«, heißt es in einem Brief aus Brasilien.

Annamaria Junghans freut sich über diese begeisterten Rückmeldungen. Die 86-Jährige nimmt seit rund fünf Jahren Studentinnen bei sich auf, in einem möblierten 16-Quadratmeter-Zimmer, das in ihrer Wohnung leer steht. »So habe ich Gesellschaft und auch jemanden, der mir im Haushalt hilft«, sagt die Seniorin. »Es tut einfach gut, diese jungen Leute um mich zu haben.« Bei der Suche nach geeigneten Mitbewohnern behilflich ist »Wohnen für Hilfe«, eine Initiative des Seniorentreffs Neuhausen, unterstützt durch die Stadt München und in Kooperation mit dem Studentenwerk München.

Besonders in den Stadtvierteln Maxvorstadt, Altstadt-Lehel und Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt herrscht großer Mangel an günstigen Mietangeboten – doch gerade da suchen Studenten, vor allem wegen der Nähe zur Universität, händeringend nach Wohnraum. »Wir bieten eine alternative Wohnform für Jung und Alt«, so Brigitte Tauer, ehrenamtliche Mitarbeiterin des Seniorentreffs und bereits seit zehn Jahren dabei. »Unser Konzept ist, ältere Menschen, Ehepaare, aber auch Familien und alle, die an Untervermietung interessiert sind, mit jungen Menschen, die möblierten Wohnraum suchen, zusammenzubringen.« Das Besondere daran: Die Miete wird nicht mit Geld, sondern mit Hilfestunden abgegolten. Also mit Tätigkeiten wie Einkaufen, Kochen, Putzen. Etwa 30 Wohnpartnerschaften vermittelt Tauer jährlich. Der Bedarf aber ist wesentlich höher: Über 200 Studenten fragen jedes Jahr an, davon 65 Prozent junge Frauen. »Noch gibt es leider viel zu wenig ältere Menschen, die uns ein Zimmer anbieten«, berichtet Tauer. Grundsätzlich wird eine Hilfestunde mit 10 Euro auf den Mietpreis angerechnet. Bei einer Miete von beispielsweise 200 Euro kann diese mit 20 Arbeitsstunden verrechnet werden. Einzig für die Nebenkosten wie Strom und Heizung muss gezahlt werden – man einigt sich vorab auf eine Pauschale. Die Vermittlungsgebühr beträgt für Mieter und Vermieter jeweils 25 Euro.

Tauer wählt vorab sorgfältig aus, wer zu wem passt. »Nicht jeder harmoniert mit jedem. In Vorgesprächen finde ich heraus, wo die Bedürfnisse der potenziellen Wohnpartner liegen«, so die Vermittlerin. Schwarze Schafe würden dabei sofort aussortiert, etwa solche, die nur an einer kostenlosen Bleibe interessiert seien, ohne sich die Finger krumm machen zu wollen. Wenn sie ein passendes Paar gefunden hat, dann vergehen im Schnitt erstmal vier Wochen, bis klar ist, ob man wirklich ­zueinander passt. Dabei wird unter anderem abgeklärt, ob man ein ähnliches Ruhebedürfnis hat, ob auch Besucher und Übernachtungsgäste willkommen sind und ob die Tagesabläufe zueinander passen. Auch sollte man klar kommunizieren, welche Hilfe benötigt der eine und welche Hilfe kann der andere tatsächlich leisten. »Für ein einvernehmliches Zusammenleben ist es wichtig, sich Zeit für das gegenseitige Kennenlernen zu nehmen«, weiß Tauer.

Beschnuppern ist erstmal möglich

Kein Vermieter muss also Angst haben, dass der Mieter gleich am nächsten Tag mit Sack und Pack vor der Tür steht – und er muss sich auch nicht sorgen, sollte das Zusammenleben scheitern. Per Wohnraumüberlassungsvertrag ist eine Kündigung zwei Wochen zum Monatsende festgelegt. Damit es nicht so weit kommt, können sich beide Parteien bei Problemen an Tauer wenden, die auch selbst um regelmäßigen Kontakt zu allen Wohnpaaren bemüht ist. Um diesen Austausch zu intensivieren, wird übrigens aktuell noch nach einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin gesucht, die sich einmal pro Woche ein paar Stunden ans Telefon setzt und nachfragt, wie es gerade läuft. Meistens aber funktioniere das Miteinander reibungslos, sagt Tauer.

Nicht ausgeschlossen ist natürlich, dass es mal Missverständnisse gibt oder Missgeschicke. »Abstriche muss man schon machen, aber so ist das Zusammenleben eben«, berichtet Vermieterin Annamaria Junghans. »Ich habe schon erlebt, dass manche höchstens mit dem Staubsauger umgehen können oder die Wäsche falsch waschen. Da wird beispielsweise Seide bei 30 Grad in die Waschmaschine geworfen«, erzählt sie. Auch habe eine Studentin einmal so viele Taschentücher in ihre Toilette geworfen, dass diese völlig verstopfte. »Mei, die jungen Leute sind halt nicht alle so geschickt. Aber so tragisch war das alles nicht. Ich bin immer ganz angetan von den Studentinnen. Der Austausch mit ihnen tut mir einfach gut«, sagt Junghans. »Ist doch viel schöner als ganz alleine in der Wohnung.« So empfinden viele ältere Vermieter. Sie wünschen sich, salopp gesagt, einfach »mehr Leben in der Bude«. Tauer hat es sogar schon erlebt, dass Leute sagen, der ist mir so sympathisch, der muss gar nichts zahlen. »Und viele blühen sogar richtig auf, wenn ein junger Mensch bei ihnen lebt und richten sich plötzlich wieder mehr her.«

Immer häufiger melden sich bei Tauer auch die Angehörigen, sorgen sich beispielsweise um die Mutter, die alleine wohnt. »Die wünschen sich dann, dass jemand dort wohnt und ab und zu nach der Mama schaut«, so Tauer. So hat es Satik Aghekyan erlebt. Sie kommt aus Armenien und studiert Politikwissenschaft und Soziologie. Noch drei Semester liegen vor ihr. Und für diese Zeit hofft die 25-Jährige, dass sie wieder ein Zimmer findet über »Wohnen für Hilfe«. Fast zwei Jahre lang kam sie bereits bei einer Seniorin unter. Doch die, inzwischen 96 Jahre alt, ist nun auf Vollzeitpflege angewiesen. »Nun ist jemand rund um die Uhr im Haus. Man braucht mich nicht mehr«, erzählt Aghekyan. Sie habe sehr gerne bei der alten Dame gelebt, habe Medikamente für sie eingekauft, sich um den Garten gekümmert und für sie ab und zu gekocht. Ihre Pflichten einzuhalten ist der engagierten Studentin nicht schwer gefallen. Auch nicht, dass sie abends in der Regel zu Hause sein musste. »Es war den Kindern wichtig, dass ihre Mama abends nicht alleine gelassen wird«, sagt sie. »Und dafür war vor allem ich da. Ich habe es gerne gemacht.« Auch an manchen Nachmittagen sei sie mit ihrer Vermieterin zusammen gesessen, bei einer Tasse Kaffee, und habe sich mit ihr unterhalten.

»Ich habe dabei viel gelernt«

»Ich habe dabei viel gelernt. Und dafür bin ich dankbar«, so Aghekyan. Wenn man sich verstehe, dann spielt das Alter keine Rolle. »Es ist egal, ob einer jung ist oder alt, wir sind alle Menschen.« Weitere Informationen über »Wohnen für Hilfe« gibt es beim Seniorentreff Neuhausen, Leonrodstraße 14 b, Ansprechpartnerin Brigitte Tauer, Tel. 16 80 60, immer donnerstags von 10 bis 12 Uhr oder per E-Mail unter bt@seniorentreff-neuhausen.de. Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 17.01.2012
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