Alter Nordfriedhof: Halligalli stört die Ruhe des Gottesackers

Zentrum · Ein wertvoller Ort

Kriemhild Pöllath-Schwarz und Oskar Holl wollen den Alten Nordfriedhof nicht als »Moralapostel« bewachen, aber auf dem Gottesacker den Respekt vor den Toten wahren. 	Foto: scy

Kriemhild Pöllath-Schwarz und Oskar Holl wollen den Alten Nordfriedhof nicht als »Moralapostel« bewachen, aber auf dem Gottesacker den Respekt vor den Toten wahren. Foto: scy

Zentrum · Es ist ein ganz gewöhnlicher Freitagvormittag. Sanfter Sommerregen prasselt auf die Blätter der Bäume. Doch der hochgewachsene Jogger, der seine Runden auf dem Alten Nordfriedhof dreht, kriegt davon nichts mit.

In seinen Ohren stecken Stöpsel, er hört so laut Musik, dass die Beats noch aus ein paar Meter Entfernung dröhnen. Nur wenige Minuten später die nächste Joggerin. Eine Frau in einem hellblauen Muscle-Shirt, Schweißflecken am Rücken, sie schiebt einen Kinderwagen vor sich her. Kein ungewöhnliches Bild. Denn der Alte Nordfriedhof ist längst eine beliebte Trainingsstrecke. Und mehr. Studenten breiten sich hier gerne zum Lernen oder Picknicken aus, manche sonnen sich halbnackt, andere sogar hüllenlos. Familien befestigen Hängematten zwischen den Bäumen, bauen ihren Grill auf, feiern Kindergeburtstage zwischen den Gräbern. Und Jugendliche balancieren auf der Slackline, spielen Fußball und machen lautstark Party bis spät in die Nacht. »Fast jeden Morgen sammelt unser Friedhofsgärtner Pizzakartons und leere Bierflaschen auf«, berichtet Kriemhild Pöllath-Schwarz, die Leiterin der Städtischen Friedhofsverwaltung. »So kann es nicht weitergehen.«

Nun werden erste Maßnahmen in Angriff genommen, um der Lage Herr zu werden. »Wir wollen auf verstärkte Öffentlichkeitsarbeit setzen«, sagt Pöllath-Schwarz. Rummel statt Ruhe – besonders in den vergangenen drei Jahren hagelt es vermehrt Beschwerdebriefe, größtenteils von den Anwohnern oder Hinterbliebenen, die hier Gräber pflegen. »Zu Recht«, wie Pöllath-Schwarz findet. Manche Friedhofsbesucher seien völlig ungeniert. Ihr Verhalten sei der Würde des Ortes nicht immer angemessen. Damit Schluss ist mit dem Halligalli auf dem Gottesacker hat sich die Städtische Friedhofsverwaltung nun mit dem Bezirksausschuss Maxvorstadt (BA 3) zusammen getan.

»Wir wollen für diesen besonderen Ort mehr sensibilisieren«, so BA-Chef Oskar Holl. Vieles geschehe ja nicht aus bösem Willen, sondern aus Unwissenheit. Und da wolle man aufklären. Konkret geplant sind Broschüren und Flyer, die gemeinsam erarbeitet werden. Am Eingang soll eine neue Tafel entsprechende Hinweise auf die kulturhistorische Bedeutung geben. Und man will mit den Jüngsten und Jungen ins Gespräch kommen. Es soll Kooperationen mit Kindertagesstätten und Schulen geben. Auch mit der Volkshochschule ist Holl bereits im Gespräch. »Sie könnte zusätzliche Führungen anbieten«, verrät er.

Weiter sei eine Fotoausstellung denkbar. Der BA würde dazu das Kunstfenster an der U-Bahn Universität am nördlichen Ausgang im Zwischengeschoss zur Verfügung stellen. Zudem werde derzeit geprüft, ob der Friedhofsgärtner statt bislang um acht Uhr morgens, im Sommer zwei Stunden später mit der Arbeit beginnen kann. So könne er in den frühen Abend hinein, wenn mehr Besucher da sind, Präsenz zeigen, ergänzt Pöllath-Schwarz. »Ich hoffe sehr, dass diese Lösungen Erfolg haben werden.«

Nicht das Gesetzbuch herausholen

Denn man wolle auf keinen Fall »das Gesetzbuch herausholen«. Von drastischeren Maßnahmen will auch Oskar Holl nichts wissen: »Es soll in Zukunft nicht so sein, dass hinter jedem Baum ein Wächter postiert wird, der plötzlich hervorstürzt.« Man wolle außerdem kein Spielverderber sein, auch kein Moralapostel. »Friedhöfe sind nicht nur Orte der Trauer, sondern auch Orte des Lebens«, so Pöllath-Schwarz. Keiner habe etwas dagegen, wenn Leute hier in Ruhe Bücher lesen oder von den Grabsteinen entfernt eine Decke ausbreiten würden. Auch Joggen sei auf den Wegen toleriert. Man wisse ja, mit Grünflächen sehe es in der Maxvorstadt schlecht aus.

»Selbstverständlich soll die Bevölkerung den Friedhof weiterhin als Erholungsfläche nutzen.« Da seit 72 Jahren auf dem Alten Nordfriedhof nicht mehr bestattet werde, werden beispielsweise keine Trauerzüge gestört. »Trotzdem, auch hier gelten das Prinzip der Totenruhe und der Respekt vor den Toten«, so Pöllath-Schwarz. Der Alte Nordfriedhof wurde im 19. Jahrhundert nach den Plänen des Stadtbaurats Arnold Zenetti errichtet. Damals kam der Alte Südfriedhof an die Grenzen seiner Kapazität, es herrschte Gräbermangel. Dennoch protestierte die Bevölkerung lautstark. Man wollte »diese schöne Umgebung« auf keinen Fall mit einem Friedhof »verschandeln«. Zenetti setzte sich gegen alle Widerstände durch. Am 5. Oktober 1868 wurde der Alte Nordfriedhof eingeweiht. Bei seiner Eröffnung umfasste er 9.000 Familiengräber und 30 Grüfte in den Arkaden.

Nazis wollten Friedhof abreißen

Im Juli 1939 wurde der Bestattungsbetrieb eingestellt, da Hitler den Friedhof abreißen lassen wollte. Stattdessen sollte eine pompöse Allee entstehen für die »Hauptstadt der Bewegung«. Aus den Plänen wurde nichts, da wenige Monate später der zweite Weltkrieg begann. Der Friedhof wurde dabei nahezu völlig zerstört. Heute sind noch rund 850 Denkmäler übrig, etwa von Wilhelm Bauer, dem Erfinder des ersten deutschen U-Boots, oder von Johann Nepomuk Fäustle, der als Justizminister unter anderem die Prozessordnungen in München reformierte und den Architekten August Thiersch beauftragte, den Justizpalast, so wie er heute noch steht, zu bauen.

»Wenn man die Geschichten zu den Gräbern erfährt, dann ist das, als wenn man ein Geschichtsbuch aufblättert. Dadurch wird viel über die kulturellen Wurzeln der Stadt vermittelt«, sagt Pöllath-Schwarz. »Der Alte Nordfriedhof ist ein wertvoller Ort für München – und soll als solcher auch geachtet werden.« Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 09.08.2011
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