Da schau her! Albrecht Ackerland über gebrauchte Freuden

München · Zum Thema: Gebrauchte Freuden, die keine Freude machen

Mit der Halle 2 hatte ich nur Pech bisher. Ich fand: Ein Abtropfsieb von Ikea zum Preis, den Ikea für die Neuware aufruft. Ich fand ein Buch, dessen Inhaltsverzeichnis mich neugierig machte – daheim fehlten die entscheidenden Seiten. Ich fand grauenvolle Lampen, wuchtige Velourssofas. Ich fand: 10 Disketten. Erinnern Sie sich an Disketten?

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Für die Jüngeren unter uns: Disketten waren einst revolutionäre Datenträger mit einem ungeheuren Fassungsvermögen. Zuvor mussten wir mit unserem Commodore noch einfach Texte auf Kassette überspielen, ein Vorgang, der heute wie kaum eine Tätigkeit sonst an Raumschiff Enterprise erinnert. Dann kam die Diskette. Sie fasste, Achtung, festhalten, sensationelle 1,4 MB. Einskommaviermegabyte.

Galaktisch. Zum Vergleich: Heute hat jede bessere Verdauungsstörung schon 16 GB, das ist das Elftausendfache einer Diskette, die ich also vor nicht allzu langer Zeit in der Halle 2 fand. Was soll das, fragte ich mich. Und freute mich. Die Halle 2 ist ein sagenumwobener Sammelplatz für all den Ramsch von den Wertstoffhöfen, den irgendwann irgendwer für wertvoll befunden hat. Ganz einfach. Diese Altwaren landen dann in der Halle 2. Und dort lassen sich dann legendäre Schnäppchen machen – der Legende nach. Ich fand dort nie das rare, gesuchte Sitzmöbel eines Bauhaus-Designers. Ich kenne auch niemanden, der weniger Pech hatte. Einmal hatte ich die Ehre, mit einer alten Grünwalderin den dortigen Wertstoffhof zu besuchen. Ich konnte mich nicht lösen, stundenlang. Dort gibt es eine ganze Halle, in die Menschen ihr Aussortiertes stellen. Und ein jeder darf sich wieder mitnehmen, was er gebrauchen kann. Direkt. Ohne Umweg. Ohne Zwischenlagerung, Transport, damit beschäftigten Menschen. Einfach so. Das funktioniert, das macht auch Spaß, weil es immer etwas von einer Lotterie hat, und weil man Menschen trifft, die nicht geifern. Das ist freilich in der Halle 2 anders.

Schon vor der Öffnung bildet sich eine Schlange, und es ist vollkommen klar, dass ganz vorne Händler stehen, die am Ende doch den Bauhaus-Stuhl herausfischen, und ihn für das Hundertfache verkaufen. Ach, wie modern ist München. Ich sehne mich zu der Zeit zurück, als München wie Grünwald war, und die Wertstoffhöfe noch Sperrmüll hießen, und die Mitarbeiter dort froh waren, wenn man etwas mitnahm. Heute dagegen wachen sie wie die Schlosshunde, dass nur ja kein Teil aus dem Container verschwindet. Ihr Job, den Menschen bei ihrer Entsorgung Rat zu geben, der wirkt längst wie ein lästiges Anhängsel. Wie traurig, wenn Dinge so offensichtlich schief laufen – und einst so gut gemeint waren.

Artikel vom 07.07.2011
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