Für Patienten mit chronischen Schmerzen besteht die Möglichkeit zur Verordnung cannabishaltiger Arzneimittel. Allerdings ist die Therapie nur für einen Teil der Betroffenen die richtige Wahl und sollte durch einen Spezialisten verordnet werden. Dr. Robert Varga, Chefarzt der Schmerzklinik in der Sana Klinik München, klärt auf, für welche Patienten die Behandlung infrage kommt.
„In der Schmerztherapie gibt es klare Indikationen für die Verabreichung cannabisbasierter Arzneimittel. Daher ist mir die Aufklärung sehr wichtig“, so Dr. Robert Varga, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, der unter anderem auch Spezialist für Schmerztherapie der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. ist.
Grundsätzlich können alle Vertragsärztinnen und -ärzte, das heißt Ärzte mit einem Kassenzulassung, medizinisches Cannabis verordnen. Seit Mitte Oktober 2024 dürfen Ärztinnen und Ärzte mit bestimmten Facharzt- , Schwerpunkt- oder Zusatzbezeichnungen laut G-BA-Beschluss dies ohne vorherige Genehmigung der gesetzlichen Krankenkassen tun. Robert Varga erklärt, welche Mittel verordnungsfähig sind: „Wir können den für die Therapie geeigneten Patienten das medizinische Cannabis in Form von Extrakten oder - seltener - getrockneten Blüten verschreiben. Wichtig ist, dass der Gehalt des Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol, kurz THC, mindestens 0,2 Prozent beträgt. Hier stehen uns sogenannte Vollextrakte mit THC und CBD (Cannabidiol) oder die Einzelsubstanzen zur Verfügung.“
Der Gesetzgeber gestattet die Verordnung für Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen. Neben Krebserkrankungen und neurologischen Anwendungsgebieten ist die Therapie auch für Betroffene mit chronischen Schmerzen vorgesehen. „Die Verordnung von medizinischem Cannabis ist möglich, wenn andere geeignete Behandlungsmöglichkeiten nicht helfen und wenn wir nach der ärztlichen Untersuchung von einem positiven Effekt durch die Cannabis-Therapie ausgehen können“, so der Schmerzspezialist. Zudem ist es wichtig, dass der Arzt oder die Ärztin den Therapieerfolg in den ersten drei Monaten zunächst sehr engmaschig kontrolliert, um mögliche unerwünschte Nebenwirkungen sofort zu erkennen und die Behandlung anzupassen.
Der Medizinische Dienst Bund liefert darüber hinaus eine Konkretisierung zur Beurteilung der für diese Therapie geeigneten Patienten. Von einer schwerwiegenden Erkrankung im Sinne der Richtlinie ist auszugehen, wenn die Beschwerden die Lebensqualität für mindestens ein halbes Jahr nachhaltig beeinträchtigen. Insbesondere die Auswirkungen der Erkrankung auf die Aktivitäten und die Teilhabe spielt bei der Beurteilung eine wichtige Rolle.
Cannabis hat sehr viele Inhaltsstoffe und ein riesiges Spektrum an Wirkungen. Für die Schmerzmedizin sind insbesondere folgende Effekte relevant: Schmerzreduktion, Verbesserung der Schlafqualität und Muskelentspannung. Weitere begleitende Wirkungen könnten die Verminderung von Ängsten und depressiven Stimmungen sein. Auch eine mögliche Entzündungshemmung wird dem Präparat zugeschrieben.
Trotzdem dürfen Patientinnen und Patienten nicht zu hohe Erwartungen an die Cannabis-Therapie haben. Darauf weisen auch die Experten der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. hin. Nach aktuellem Stand der Wissenschaft kommt in vielen Fällen zunächst die Verordnung von Tropfen oder Sprays infrage. Diese Präparate können Patienten über den Mund einnehmen. Das ist zum einen praktikabel und die negativen Wirkungen einer Inhalation lassen sich so vermeiden.
Ein Ärzteteam aus den USA veröffentlichte im April dieses Jahres basierend auf dem aktuellen Forschungsstand neue Empfehlungen. Der Schmerzexperte erläutert die Vorgehensweise in der Praxis: „Nach ausführlicher Beratung, mit der richtigen Dosierung und unter Kontrolle eines Schmerzmediziners können cannabisbasierte Arzneimittel den Patienten sehr gut helfen. Wir schneiden die Therapie immer individuell auf die Patienten und deren Beschwerden zu. Ich sehe in der Klinik zum Beispiel häufig ältere Patienten, die schon viele verschiedene Therapieansätze durchlaufen haben und bereits unter Nebenwirkungen, zum Beispiel Magenproblemen, leiden. Dann können die Tropfen sehr gut verträglich sein.“
Cannabisbasierte Arzneimittel sind kein Wundermittel gegen Schmerzen jeglicher Art. Sie können jedoch Menschen mit chronischen Schmerzen und langfristigen Einschränkungen im Alltag, die sich negativ auf die Lebensqualität auswirken, Linderung verschaffen. Die Behandlung mit medizinischem Cannabis sollte nur nach Untersuchung und Verordnung eines Spezialisten erfolgen und mit anderen Maßnahmen wie beispielsweise Physio- und Bewegungstherapie sowie in vielen Fällen mit psychotherapeutischen Verfahren kombiniert werden.