Auch München verzeichnet immer mehr Austritte

München · Abkehr von der Kirche

Fünf vor zwölf: Seit Anfang März treten auch in München immer mehr Menschen aus der Kirche aus. Foto: ikb

Fünf vor zwölf: Seit Anfang März treten auch in München immer mehr Menschen aus der Kirche aus. Foto: ikb

München · Misshandlung und Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, undurchsichtiges Finanzgebaren, unrühmliches Postengeschachere und vieles mehr – die Verfehlungen vieler Würdenträger und die bislang publik gewordenen Skandale kosten die katholische und evangelische Glaubensgemeinschaft immer mehr Mitglieder.

Im März traten allein in der Landeshauptstadt 1.691 Gläubige aus den Kirchen aus, im April registrierte das Kreisverwaltungsreferat (KVR) 1.477 verlorene Schafe – so viel wie nie zuvor in einem einzelnen Monat. „In der Vergangenheit wurde nur ein einziges Mal die 1.000er-Marke durchbrochen, jetzt ist das fast normal“, erläutert KVR-Pressesprecherin Daniela Schlegel die Zahlen.

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Rechnet man die Kirchenaustritte der ersten vier Monate 2010 auf das ganze Jahr hoch, dürften sich wohl mehr als 12.000 Münchner – ihre Heimatstadt ist seit 1821 Sitz des Erzbistums München und Freising – entschlossen haben, künftig keinen Cent Kirchensteuer mehr zu bezahlen. Im Jahr 2007 waren es noch 6.682 Personen, 2009 bereits 8.743 Abtrünnige. Hatten im Januar und Februar 2010 noch weniger Menschen als in den vergleichbaren Vorjahresmonaten den Gotteshäusern den Rücken gekehrt, verdoppelten sich die Werte im März und April – „herbe Verluste“ und „Tendenz steigend“, wie ein Pfarrer im Gespräch mit dem SamstagsBlatt mutmaßt. „Die Personen müssen für ihren Schritt keinen Grund angeben, doch der Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Vorgänge in den Kirchen ist klar gegeben“, so Daniela Schlegel. Die Behörden in Bayern trennen in der Statistik nicht zwischen den Konfessionen, Kirchenkenner gehen aber von einer deutlichen Mehrheit an Katholiken aus.

Wer aus der Kirche austreten möchte, muss sich beim Kreisverwaltungsreferat, Ruppertstraße 11, unter Vorlage seines Ausweises abmelden. Die Verwaltungsgebühr kostet 25 Euro, eine Bestätigung sechs Euro.

Von Ende 2007 datiert die letzte bundesweite Erhebung zu den Kirchenmitgliederzahlen. Bei damals 12,52 Millionen Bürgern im Freistaat gehörten 77 Prozent (in ganz Deutschland waren es 61 Prozent) oder knapp 9,7 Millionen Menschen einer der beiden großen Glaubensgemeinschaften an. Eine Untersuchung in Bayern zum Jahresende 2008 kam zu dem Ergebnis, dass ein wenig mehr als 38 Prozent der Einwohner katholisch und 14 Prozent evangelisch sind, zusammen also etwa 52 Prozent. „Rund 48 Prozent gehörten anderen Religionen an oder waren konfessionslos“, heißt es im Fazit der Analyse. Die bayerischen christlichen Zahlen sprechen eine deutliche Sprache, der Schrumpfungsprozess in den Kirchen ist offensichtlich, geht unaufhaltsam weiter, ist so sicher wie das Amen nach dem Gebet.

Auch deutschlandweit ist dies nicht anders, wobei die evangelische Kirche ab 1970 gesehen wesentlich stärker von den Austritten betroffen war als die katholische. Absoluter Höhepunkt der Austrittswelle war 1992 nach der Wiedervereinigung: 360.000 Protestanten und mehr als 190.000 Katholiken erschienen bei den Behörden, um künftig konfessionell ungebunden zu sein.

Von Ina Köhler-Blessing

Artikel vom 02.06.2010
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