Künstler des HPCA-Ateliers vertreten Deutschland auf internationaler Biennale

Oberschleißheim · »Outsider« der Kunst

»Posieren« ist ihre Sache nicht – die Künstler des HPCA-Ateliers sind ehrlich und direkt, auch und besonders in ihrer Kunst.	Foto: em

»Posieren« ist ihre Sache nicht – die Künstler des HPCA-Ateliers sind ehrlich und direkt, auch und besonders in ihrer Kunst. Foto: em

Oberschleißheim · »Grenzenlos« ist vielleicht das richtige Wort. Die Bilder wirken auf mich wie die Menschen, die sie malen. So fängt es schon an, als ich vor dem Gelände des Heilpädagogischen Centrums Augustinum (HPCA) stehe und nach dem Weg zum Atelier frage. »Soll ich dich hinführen?« lautet die Antwort – und schon werde ich untergehakt. Als ich mich vorsichtig löse, ernte ich einen erschrockenen Blick. Spätestens jetzt ist klar: Hier betrete ich ein Terrain, auf dem einiges »anders« ist.

Zu der Neugier auf die dort arbeitenden Künstler, die es geschafft haben, Deutschland auf der »Outsider Biennale« (für Kunst von Menschen mit geistiger Behinderung) im schwedischen Arvika zu vertreten, kommt Unsicherheit.

Wenige Schritte später läuft eine junge Frau auf mich zu, erzählt mir fröhlich, wie leicht es sei, sich hier zu verlaufen – und führt mich durch einen langen Gang voller Bilder: groß, klein, bunt oder schwarzweiß – aber nie zurückhaltend, nie dekorativ. Irgendetwas sticht immer sofort ins Auge; oft sind es kantige Formen, manchmal auch eine Überfülle an Farben. Jedes Bild will das Auge festhalten, aber ich muss meiner eifrigen Führerin folgen. Die Irritation wächst.

Schließlich strahlt meine Begleiterin; sie hat mich direkt ins Atelier geführt. Dessen Leiter, Kunstpädagoge Klaus Mecherlein, stellt mir einige Künstler vor, deren Werke auch auf der Biennale zu sehen sind. Nicht alle haben Lust »auf diese Fragerei«, wie Franziskus von Branca, einer von ihnen, feststellt. Sie müssten auch bald weg, mahnt der Künstler Thomas Schlimm – die Busse fahren sie dann nach Hause, ins Wohnheim oder zur Familie. Ok – ich verspreche, mich zu sputen. Aber ein bisschen was können sie mir doch vielleicht erzählen? Wie das so ist, ausgewählt zu werden für so eine internationale Ausstellung, ganz weit weg, in Schweden? »Ich habe erstmal gelacht«, erzählt Sabine Münch, die immer wieder Fische malt – Tiere, die sie in ihrem Leben lange begleitet haben. »Sehr stolz« ist auch Schlimm, der langsam auftaut und immer mehr Stichworte zu seinen Bildern heraussprudelt: »Schlangenbändiger, Cowboys, Stiere«. Er liebt den Zirkus, und das sieht man auch auf seinen Bildern. »Stolz? Na ja, schon – das normale Leben halt« sagt Klaus Zelmer, eine Zigarette in der Hand, ganz der Ruhepol am Tisch. »Spontan« entstünden seine Werke – oft voller Symbolik, ob mit Buchstaben oder Motiven wie Bibel und Tora in einem Bild.

»Das sind für mich alles echte Erfinder«, wird Klaus Mecherlein später zu mir sagen. Seit 15 Jahren betreut er die künstlerische Arbeit, die ursprünglich nur ein paar Stunden Abwechslung von der sonstigen Arbeit bedeutete, die die Behinderten in den Werkstätten bewältigen – Verpackungsarbeiten, zum Beispiel. Wobei die Arbeit dort nicht nur Arbeit sei, sondern vor allem »soziales Leben, Kontakte, Freundschaften, Kultur und Tagesstruktur«, ­betont er. Doch was da bei ­einigen Beschäftigten in diesen wenigen Wochenstunden entstand, das beeindruckte den Künstler Mecherlein so sehr, dass die Idee entstand, ein richtiges »Vollzeit-Atelier« zu gründen: »Diese Intensität des Ausdrucks hat mich tief berührt; das Potenzial habe ich schon damals gesehen. Eine solche Direktheit und Stärke des Ausdrucks – das hat eine hohe künstlerische Qualität.«

Eine so hohe, dass Mecherlein für das Augustinum selbst einen europäischen Kunstpreis ins Leben gerufen hat: Den »Euward« für Malerei und Grafik von Künstlern mit geistiger Behinderung. Derzeit läuft die fünfte Ausschreibung – noch bis zum 22. Februar. Außerdem muss man nicht nach Schweden fahren, um Werke der HPCA-Künstler zu sehen: Das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in der Veterinärstraße 2 zeigt vom 9. November bis 7. Februar die Ausstellung »Wildnisse« mit Malerei, Zeichnungen und Druckgrafiken mit unterschiedlichen Sichtweisen von Tieren. Einige zeigt mir der Kunstpädagoge – und wieder ist da dieses Gefühl von einer solchen Rohheit und Direktheit, als wollten die Bilder mich anspringen. Mecherlein liefert mir die Theorie zu meinem Gefühl: »Das ist ein anderer Zugang zur Kunst. Normalerweise arbeitet ein Künstler über den Intellekt – mit Reflexion, mit Wissen über Kunstgeschichte, programmatisch. Hier ist der Zugang direkter, spontaner, ungefilterter als über den Intellekt.« »Vielleicht erleben diese Künstlerkollegen Farben, Formen und Bilder intensiver«, sagt er, als ich ihn frage, ob Kunst als Ausdrucksmittel auch ein Ersatz sein könne, wenn sprachlich-intellektuelle Möglichkeiten fehlen.

Dabei muss ich wieder an meine Gesprächspartner denken, die mir mit wenigen Worten alles über ihre Bilder erzählt haben, was sie dazu zu sagen haben. Bis Sabine Münch nach langem Grübeln über eine Frage von mir die Gesprächsrunde beendet: »Sagen kann ich jetzt nichts mehr.« Da ist sie, die Grenze, die die Behinderung ihr setzt. Und die sie mit jedem Bild wieder überschreitet. Eva Mäkler

Artikel vom 06.10.2009
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