Albrecht Ackerland über Tracht und Intoleranz

München · Da schau her!

Da sitz' ich ganz brav in meiner Boazn an einem ruhigen Wiesnmontag, und schon war's wieder soweit: Der Beppi, der ja sonst wirklich ein lieber Kerl ist, der hat sich aufgeregt über die armen Seppelhosen-Träger, sowas haben Sie nicht gesehen. „Die versauen uns unser Bayernland mit ihrem Trachtenset für 129 Euro, das ist eine Schande, weil wir sind seinerzeit ausschließlich in Jeans und Lederjacke auf die Wiesn.“

Sie müssen wissen: Der Beppi hat früher gerne gekämpft auf der Wiesn, deswegen kennt er auch die Wiesnwache der Polizei schon auch von innen. Aber Gewaltausbrüche im heutigen Sinn, die kennt der Beppi nicht. So eine Watschn, die ist ihm schon mal ausgekommen, was ja schließlich schlimm genug ist, weil ich immer noch meine: Lieber keine Watschn, sondern eine gemeinsame Maß Bier. Wenn's um Schlägereien geht, da war ich schon immer so was wie ein Wiesn-Hippie.

Wir reden ja von unserer Wiesn, die ist einmal im Jahr, da muss doch wirklich keiner seine Zeit vergeuden mit so einem Gewalt-Gschmarre. Das ist nämlich wertvolle Zeit, die einem sonst verloren geht, und in der man locker-lässig ein paar Mini-Dirndl bestaunen kann. Und schon sind wir beim eigentlichen Reizthema: Tracht.

Ich kann sie nicht mehr hören, diese ewigen Nörgler: Die Wiesn, das sei ein bayerisches Fest, wir müssten uns wehren gegen diese Verseppelung, gegen all die Halstücherl und Geschirrtuchhemden und Totenkopf-Stickereien auf Dirndl-Schürzen, gegen Brunfthirsche aus Bergseilen, vernäht auf Sackleinen-Jackerln. Ja, Herrschaftszeiten, sind wir jetzt eine Stadt mit Toleranz oder ja?

Die Original Münchner Wiesntracht – da hat der Beppi schon recht – gibt’s gar nicht. Was auch Tradition hat: Der Münchner hatte noch nie eine Tracht, die Lederhosen und das Dirndl waren immer Kleidung der Landbevölkerung, was der Münchner unbedingt abstoßend fand.

Und heute: Beschwern sich alle, dass der Düsseldorfer unsere schöne Tradition verledert, und dass alle so ein Mini-Dirndl tragen, eines, weswegen in einem Alpental der Exorzist geholt würde. Ein großer Schwachsinn ist das. Die jeweilige Tracht mag seit jeher an eine Region gebunden gewesen sein, und die Wiesn: ist eben ihre eigene Region. Und in jener ist alles erlaubt. Von mir aus sogar knöchellange Liebestöter-Röcke.

Bilder, Videos und Impressionen vom Münchner Oktoberfest.

Artikel vom 24.09.2009
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