Geschichte und Anekdoten rund um die Gemeinde Vaterstetten

Vaterstetten · Bürgermeister als charmanter Reiseleiter

Bürgermeister Robert Niedergesäß führt seit acht Jahren diese Reisen durch.  Foto: Oswald

Bürgermeister Robert Niedergesäß führt seit acht Jahren diese Reisen durch. Foto: Oswald

Vaterstetten · »Es fehlt an Wasser und Bächen. Die hölzernen, schmutzigen Wohnungen geben dem Ganzen einen noch wilderen Anstrich. Die Menschen hier sind klein, durch zu frühe Anstrengung verkrüppelt, statt Kühnheit herrscht volle Stumpfheit und Blödigkeit unter ihnen....

Im Elend suchen sie durch Heiraten zu vergessen, stürzen sich aber oft dadurch in ein noch tieferes«, so der kurpfalz-bayerische Generallandesdirektionsrat Josef von Hazzi bei seinen Reisen durch Altbayern vor 200 Jahren über diese Gegend. Das kann man so freilich nicht mehr gelten lassen. Eine Reise durch die Gemeinde klärt auf – mit Bürgermeister Robert Niedergesäß, der seit 2000 etwa 30-mal diese Tour absolviert hat.

Das Umfeld erkunden mit dem Bürgermeister, das ist wahrlich ein seltenes Erlebnis. Doch: Kurz vor der Bundestagswahl – eine Kaffeefahrt mit Wahlkampfsprüchen? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, denn der CSU-Politiker zeigte sich glaubhaft von seiner heimatverbundenen Seite. Kein politisches Wörtchen kam aus seinem Munde.

Niedergesäß war der mit Abstand jüngste Teilnehmer dieser besonderen Fahrt. Vielleicht denken die Jungen im Ort, man könnte sich die Geschichte ja übers Internet »reinziehen«. Sicher richtig, was die Jahreszahlen betrifft. Aber die Anekdoten und charmanten Seitenhiebe des Bürgermeisters gibt es exklusiv nur hier.

Das Gemeindegebiet war früher eine ärmliche Gegend, so die Einführung, während der Bus Richtung Zugspitz-/Bahnhofstraße aufbricht. Der unfruchtbare Boden der Münchner Schotterebene machte es den Bauern seit jeher schwer: »In Vaterstetten steht des Droat so niedrig, dass se d’Spatzn zum ausbecka hi gniagln miaßn«, so ein Sprichwort, das – ins Hochdeutsche übersetzt – sagen will: »In Vaterstetten steht das Getreide so niedrig, dass sich die Spatzen zum Auspicken hinknien müssen.« Dieses Wehklagen von anno dazumal stammte von »Schorsch« Reitsberger während seines Vortrags in der Schnappsberennerei. Trotz oder wegen der widrigen Grundbedingungen erfreut sich die Landschaft einer zurückhaltenden Bebauung: 75 Prozent des Gemeindegebiets sind davon verschont, »...und das soll so bleiben«, sagt Niedergesäß. Auf der B 304 heißt es, dass immerhin ein kleiner Teil von Neukeferloh zu Vaterstetten gehört (Ostring 13-47), dafür der Technopark aber zu Grasbrunn: »Leider, wegen der Gewerbesteuer«, schmunzelt der Bürgermeister. Über die Arnikastraße mit der Waldkapelle und den Rose-Breitenbach-Platz und die Waldstraße geht es zur Petrikirche und zum Torakgebäude, erbaut 1983 von Albert Speer. Hier fanden 145 Waffenstillstandsverhandlungen statt, später wurde daraus eine Waldschule mit Erst- und Viertklässlern in einem einzigen Raum zusammen.

Gesellschaftlicher Höhepunkt war die Zeit, wo es bis 1958 Gloria-Film beherbergte. Da wurde allerlei Zelluloid verdreht und Stars wie Blacky Fuchsberger, Willy Millowitsch oder Grete Weiser setzten hier den Fuß über die Schwelle.

Der Bürgermeister macht keine Pause, keine Ähs sind zu hören, dafür Infos am laufenden Band: Dass Promis wie die Karl-Heinz Böhm-Tochter Katharina noch immer am Ort leben, dass Niedergesäß selbst in der Baldhamer Ortskirche ministrierte, sogar Pfarrer werden wollte.

Großes Lob gibt es auf die Städtepartnerschaften, nicht ohne Seitenhieb, dass vier Frauen aus der Gemeinde nach Allauch geheiratet hätten, umgekehrt aber nichts dergleichen geschah.

Mit Stolz wird auf den kürzlich mit dem Gartenpreis 2009 ausgezeichneten Wasserpark Baldham verwiesen und zum allgemeinen Vergnügen dreht dort der Bus zwei Ehrenrunden. Interessante Hintergrundinformation: Im Hochhausgebiet Rossinizentrum lebt ein Siebtel der Gemeindebürger, und am Gymnasium erinnert sich Niedergesäß, dass er mehrmals beim Vorrücken gefährdet war, letztlich aber immer »die Kurve gekratzt« hat.

Weiter geht es über Purfing nach Neufarn und Froschkern. Hier wird der Busfahrer angwiesen einen Baustellen-Schotterweg neben der Autobahn anzusteuern. Die Spannung im Bus angesichts des Gegenverkehrs weicht, als Niedergesäß von 20.000 Fahrzeugen erzählt, die täglich die Münchner Straße befahren, parallel zur A 94.

Der Name Weißenfeld stammt von weißen Blumen, Hergolding ist geographisch der Gemeinde-Mittelpunkt und gehörte früher einem jüdischen Kaufmann, der vertrieben wurde. Zudem hat es das größte Kartoffelanbaurecht in Deutschland, größer als das von Schleswig-Holstein und dem Saarland zusammen.

Endlich geht’s zum Reitsberger, allerdings in die 1807 gegründete Schnapsbrennerei. Während der »Schorsch« drinnen von der Mühsal einerseits, dem Segen der Kartoffel ans sich andererseits erzählt – 20 Tonnen Kartoffeln für 2.500 Liter Alkohol, am Montag wird angeliefert, am Freitag ist der Hochprozentige fertig –, bereitet der »Reiseleiter« die willkommene Schnapsverkostung vor. »Früher haben wir das im Bus gemacht, aber wegen des Duftes haben wir uns lieber für die Freiluftvariante entschieden«, so der Bürgermeister, dessen Urgroßeltern 1920 ins Gemeindegebiet gezogen waren. Nach beherzten Schlucken lädt Reitsberger auf die Kartoffelwaage: 3.340 Kilo wiegen die Reiseteilnehmer. Nach dreieinhalb Stunden hat man viel Neues erfahren, so wie das Paar Ulrich. »Wir leben seit 33 Jahren hier, das war das erste Mal und es hat uns wirklich ganz ganz toll gefallen!« Eine andere Teilnehmerin gesteht: »Das war schon meine dritte Fahrt – wegen dem Herrn Bürgermeister...«

Oliver Oswald

Artikel vom 23.09.2009
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